Das Ukraine Freedom Orchestra ist auf Tournee

Musik als Waffe:Das Ukraine Freedom Orchestra ist auf Tournee

Sie kämpfen musikalisch für den Frieden und die Freiheit in der Ukraine: die Dirigentin Keri-Lynn Wilson und das Ukraine Freedom Orchestra!

Das Ukraine Freedom Orchestra ist auf TourneeFoto: Klassik Radio

Sie hatten gerade einmal zehn Tage Zeit zum Zueinander-Finden und Proben, danach ging es schon auf Tour: die Musikerinnen und Musiker des Ukraine Freedom Orchestras. Alle haben ukrainische Wurzeln und  möchten auf Ihrer Tournee durch Europa und Nordamerika die ukrainische Kultur verteidigen.

Stardirigentin mit ukrainischen Wurzeln

Den Taktstock schwingt die bekannte Dirigentin Keri-Lynn Wilson: „Meine Urgroßmutter kam aus dem Westen der Ukraine und ich wuchs in Winnipeg in Kanada auf, eine Stadt die die größte ukrainische Gemeinschaft in ganz Nordamerika. Ich wuchs also mit den ukrainischen Bräuchen auf, nahm sogar ukranische Tanzstunden und hörte immer meine Mutter und Großmutter ukrainisch sprechen. Auch mein Dirigentendebüt fand 2005 in Kiew statt. So habe ich Verwandte und Freunde dort, deshalb fühle ich mich diesem Land so nahe“, erklärt sie gegenüber Klassik Radio.

Als dann der Krieg ausbrach, war Keri-Lynn Wilson klar: sie muss etwas tun: "Seit Beginn der Invasion kämpft einer meiner Cousins an der Front." 

Ich fühlte mich so geschockt von diesem Krieg, so dass ich meine Energie darauf verwendete, zu überlegen, wie ich der Ukraine helfen könnte. So kam mir die Idee, als Musikerin könnte ich, statt einer Waffe meinen Dirigentenstab in die Hand nehmen.“
Keri-Lynn Wilson, Dirigentin

Gemeinsames Brainstormen mit Peter Gelb

Gesagt, getan! Unterstützt wurde Keri-Lynn Wilson dabei von ihrem Mann Peter Gelb, dem Intendanten der MET Opera in New York: "Zu Beginn der Invasion sollte ich eigentlich das Odessa Philharmonic Orchestra dirigieren, doch so hatte ich dann eine Woche frei. Die Zeit nutzte ich, um mit meinem Mann, Peter Gelb (....) zu brainstormen. Er fand, es sei eine tolle Idee und so kontaktierte er seine Kollegen bei der polnischen Oper. (...) Er war also der Meisterplaner und half mir, meinen Traum wahr werden zu lassen. So wird die Tournee auch von der MET in New York, der Warschauer Nationaloper, aber auch von Spendern aus der Privatwirtschaft unterstützt.

Vorbereitung in Rekordzeit

Danach folgte viel Arbeit: schließlich mussten die Musizierenden zusammengetrommelt werden: Sie kamen von verschiedenen Orten der Ukraine, einige waren Flüchtlinge, die z.B. bereits in Polen waren und dann kamen noch Musizierende mit ukrainischen Wurzeln aus ganz Europa hinzu. Nicht ganz einfach war es auch, eine Tournee innerhalb von drei Monaten zu organisieren. Schließlich stand  das Programm mehrerer Festivals, bei denen das Ukraine Freedom Orchestra zu Gast sein wird, schon seit Jahren, wie z.B. das Programm der BBC Proms:

Diese Festivals hießen uns mit offenen Armen willkommen. Die BBC Proms schafften uns Platz für eine Matinee an einem Sonntag. Das ist ungewöhnlich. Das war eine Ehre und zeigt uns, wie groß die Solidarität dieser Festivals ist, die Ukraine und ihre Musiker zu unterstützen.
Keri-Lynn Wilson, Dirigentin

Pass von Hund gefressen

Schließlich war es soweit: alle sollten sich in Warschau zum gemeinsamen Proben treffen. Doch dann brachte fast ein Hund alles zu Scheitern, erklärt die Dirigentin: "Zwei Tage bevor alle in Warschau zusammenkamen – hat der Hund eines Violinisten dessen Pass einfach gefressen – die Seite mit dem Foto einfach zerkaut. Rechzeitig einen neuen ausstellen zu lassen, klappte natürlich nicht."

Rettung in letzter Sekunde

Doch wo und wie so kurz vor Start einen neuen ukrainischen Violinisten finden? Zum Glück erinnerte sich Keri-Lynn Wilson an eine besondere Begegnung: "…ich erinnerte mich an ein Konzert vor zwei Monaten – bei den Proben kam ein ukrainischer Violinst auf mich zu und meinte, er habe gehört, dass ich das Ukraine Freedom Orchestra gegründet habe und fände das eine tolle Sache. Wir umarmten uns, mit Tränen in den Augen. Doch nach dem Konzert habe ich ihn nicht wiedergesehen. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Ich googelte das Orchester, fand sein Foto, machte einen Screenshot und schickte es per whatsapp an den Orchesterleiter. Eine Stunde später hatte ich seine Kontaktdaten. Ich rief ihn an und fragte ob er mitkommen wolle – er meinte „Wirklich?“ Ich sagte: packen sie ihre Koffer und am nächsten Morgen flog er nach Warschau…"

(...) Man kann die ukrainische Kultur nicht einfach auslöschen. Sie ist stark und lebendig. Wir werden die Menschen in Europa und Nordamerika begeistern und vereinen. Dabei geht es um Menschlichkeit und Mitgefühl.
Keri-Lynn Wilson, Dirigentin

Zehn Tage Proben, dann ab auf Tournee

Auch die Vorbereitungszeit für das Orchester war knapp: sie hatten nur zehn Tage Zeit, um zueinander zu finden und sich musikalisch aufeinander einzustimmen. Dann ging es schon los. Doch einer etwas schwierigen Anfangsphase, lief es wie am Schnürchen, erklärt Keri-Lynn Wilson: "Das Musizieren ist natürlich das Schwierigste. Wir hatten intensive, wunderschöne zehn Tage zusammen und unser Konzert in Warschau hat dann meine Erwartungen übertroffen. Sie spielten so wundervoll ,mit ihren Herzen und Seelen und ich hätte nicht stolzer sein können."

Ich bin sehr stolz, mit meinen "Soldaten der Musik" zusammen zu sein. Denn zusammen kämpfen wir vereint für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine an der kulturellen Front.
Keri-Lynn Wilson, Dirigentin

Bewegende Begegnung bei Weltpremiere

In insgesamt 12 Städten macht es Halt: gestern in München, heute in Orange in Frankreich - die rührendste Begegnung hatte die Dirigentin mit ukrainischen Wurzeln aber direkt bei ihrer Weltpremiere in Warschau: dort traf sie auf ihre Cousine Nadja: " Nadja ist ein Volonteer für die Armee, sie fährt einen Truck, um die Truppen an der Front mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie kam zu dem Konzert nach Warschau - dafür ist sie 24 Stunden mit dem Bus gefahren. Es war das erste Mal, dass wir uns getroffen haben. Es war sehr emotional, meine Cousine zu sehen und sie war so stolz, Teil dieses Events zu sein. Denn die Ukrainer fühlen sich so unterstützt, wenn jemand irgendetwas außerhalb des Landes für sie tut. "

Mit Musik motivieren

Auf die Frage: kann Musik denn überhaupt helfen, hat Keri-Lynn Wilson deshalb eine ganz klare Antwort: "Die Menschen fragen mich oft, ob Musik einen Unterschied machen kann. Und ich sehe, dass dem so ist: da ist z.B. Nadja, die mir von ihren Kollegen und ihrer Familie in der Ukraine erzählt, die uns anfeuern und so dankbar sind. Sie meint, es ist moralische Unterstützung für sie. Wenn sie morgens aufwachen und demoralisiert sind, weil es in der Nacht wieder Bombenalarm gab, ist das für Sie ein Zeichen der Hoffnung. Es macht mich sehr stolz, ihnen zumindest diesen Funken Inspiration und Hoffnung für die Zukunft zu geben."

Eine tolle Aktion, die mit Musik für Freiheit und Frieden kämpft. Alle Tourdaten gibt es auf der Website des Ukraine Freedom Orchestras.

Die gute Nachricht des Tages hören Sie Montag bis Freitag mit Thomas Ohrner um 12:40 Uhr bei Klassik Radio.

(02.08.22/K.Jäger)

01.08.2022

Genießen Sie unsere meistgehörten Musiksender

Neueste Artikel