Manchmal findet Musik ihre Bühne an Orten, an denen man sie nie erwartet hätte. Nicht im Opernhaus, nicht im Konzertsaal, sondern zwischen Pixeln, Fantasiewelten und virtuellen Abenteuern. Wer zum Start der Gamescom 2025 nur an grelle Action oder schnelle Klicks denkt, übersieht, dass auch Mozart, Wagner oder Chopin längst einen Platz in digitalen Welten gefunden haben – mal ernsthaft, mal verspielt, mal völlig absurd.
Ein besonders frühes Beispiel ist "Loom" von LucasArts, das 1990 erschien und schon damals das Genre der Adventures aufmischte. Handlungstechnisch hat es zwar nur am Rande mit Musik zu tun – als Bobbin Threadbare, verstoßenes Mitglied der Gilde der Weber, zieht man los, um eine aus den Fugen geratene Welt mit einer magischen Blockflöte wieder ins Lot zu bringen. Doch das Besondere: Tschaikowskis Schwanensee bildet den klanglichen Rahmen und die Musik ist nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern Kern der Spielmechanik. Zaubersprüche werden als sogenannte Drafts in Notenfolgen gespielt, sodass Musik das zentrale Werkzeug darstellt.
Dass das Spiel damals sogar mit einer eigenen Audio-Kassette samt Hörspiel ausgeliefert wurde, unterstreicht, wie ernst es LucasArts damit war, Musik zum dominierenden Element zu machen – ein Kunstgriff, der bis heute nachwirkt.
Ganz anders, aber ebenso faszinierend, ist Maestro VR, das 2024 auf Steam erschien und zu den spannendsten Versuchen zählt, Klassik spielerisch erlebbar zu machen. Hier ist man kein Abenteurer, sondern Dirigent, der berühmte Orchesterwerke von Beethoven, Mussorgski oder Dvořák leitet. Mit VR-Brille und Handtracking erlebt man, dass der Beruf des Dirigenten weit mehr ist als bloßes Taktstockwedeln – Präzision, Gefühl und musikalisches Gespür sind gefragt, um den vollen Klang zu entfalten. Schon die frühe Version von 2022 hatte unter Klassik- wie Gamingfreunden viel Begeisterung geweckt, inzwischen ist der Titel zu einem Paradebeispiel geworden, wie immersive Technik Klassik lebendig machen kann.
Der willkommene Nebeneffekt: Man darf sich einmal selbst wie Karajan oder Bernstein fühlen, ohne dafür jahrelang am Pult gestanden zu haben.
Weniger bekannt, aber dafür umso kurioser ist "Mozart – Das letzte Geheimnis", ein Adventure, das um 2009 herum entwickelt wurde, in Prag angesiedelt ist und Mozart selbst in die Hauptrolle setzt. Die Handlung spielt 1788, zur Zeit der Uraufführung von "Don Giovanni". Mozart soll die Aufführung beaufsichtigen, kämpft mit Geldsorgen – und stolpert in eine Verschwörung von Freimaurern und Rosenkreuzern. Historische Fakten, wie seine Zugehörigkeit zur Freimaurerloge, werden mit fiktiven Intrigen verwoben. Spieler müssen Notenrätsel lösen, ein Cembalo stimmen oder kleine musikalische Passagen korrekt interpretieren. Neben Stücken wie der Zauberflöte oder der Prager Sinfonie tauchen auch reale Schauplätze wie das Nostiz-Theater auf.
Kommerziell konnte sich das Spiel nie durchsetzen und stellt in der Spiele-Historie nur eine Randnotiz dar, doch es ist eine seltene und durchaus charmante Möglichkeit, Mozart einmal ganz unmittelbar – und mit einem Augenzwinkern – kennenzulernen.
Fast ins Absurde schlägt dagegen "Gabriel Knight 2 – The Beast Within" aus, ein Full-Motion-Video-Adventure von 1995, das mit gefilmten Schauspielern produziert wurde und vollständig in Bayern spielt. Heute ein Kulthit unter Trashfans, war das Abenteuer zum Erscheinungszeitraum tatsächlich ein produktionstechnisches Mammutprojekt sondergleichen und begeisterte Presse wie Publikum: Hier verschlägt es den amerikanischen Schriftsteller Gabriel Knight nach München, wo er in eine Reihe mysteriöser Morde verwickelt wird. Im Verlauf offenbart sich eine Geschichte, die den Märchenkönig Ludwig II. als Werwolf entlarvt und Richard Wagners Musik ins Zentrum rückt. Der Spieler besucht das Wagner-Museum in Bayreuth, erhält erstaunlich viele gut recherchierte Details zu Leben und Werk des Komponisten, und stößt schließlich auf eine verschollene Oper des einflussreichen Romantikers, deren Aufführung im Münchner Residenztheater das große Finale bildet – Werwolf-Konfrontation inklusive.
Eine wilde Mischung aus fundierter Historie, unfreiwillig komischem "Schund" und echter Opernliebe, die zeigt, dass selbst die skurrilsten Gaming-Ideen noch klassische Musik ins Rampenlicht rücken können. Vielleicht auch deshalb wird dieses Spiel immer einen besonderen Platz im Herzen des Autors dieser Zeilen innehaben.
Den wohl ernsthaftesten und zugleich emotionalsten Versuch, einen Komponisten direkt in den Mittelpunkt zu stellen, unternahm 2007 das japanische Rollenspiel "Eternal Sonata". Es erschien zuerst für die Xbox 360 und später auch für die PlayStation 3 und entführt die Spieler in die Traumwelt von Frédéric Chopin. Der todkranke Komponist begibt sich in seiner Fantasie mit Figuren wie Allegretto oder Serenade auf eine letzte Reise, die sowohl in der Traumwelt als auch in der Realität mit seinem Tod enden könnte. Mehrere originale Chopin-Stücke, eingespielt vom Pianisten Stanislav Bunin, sind direkt im Spiel zu hören, der restliche Soundtrack stammt von Motoi Sakuraba.
Das Spiel experimentierte nicht nur musikalisch, sondern auch erzählerisch: Es ververknüpft Zwischensequenzen mit echten Gemälden und Fotos, sodass eine märchenhafte, gleichzeitig tief melancholische Stimmung entsteht. Für viele Japaner – bekannt für ihre Begeisterung für europäische Klassik – war es ein Herzensprojekt, und für den Rest der Welt ein Beweis, wie stark Gaming Musikgeschichte interpretieren kann.
Und so spannt sich der Bogen von Tschaikowski in einem Fantasy-Adventure über dirigierte Symphonien in der virtuellen Realität bis hin zu einem Chopin, der im eigenen Traum gegen die Vergänglichkeit antritt. Mal ernst, mal augenzwinkernd, mal völlig schräg – die Begegnungen zwischen Klassik und Videospielen sind so vielfältig wie die Musik selbst. Wer also glaubt, dass die eine Welt mit der anderen nichts zu tun haben könnte, mag sich wundern: manchmal liegt zwischen Oper und Konsole nur ein kleiner Sprung – und der klingt erstaunlich harmonisch.
Nicht nur klassische Meisterwerke können verzaubern – auch Videospielmusik besitzt die Kraft, zu begeistern, zu fesseln und zu faszinieren. In unserem Klassik-Radio-Select-Streamingkanal „Games Music“ haben wir die schönsten, bekanntesten und bewegendsten Videospielkompositionen aus aller Welt für dich zusammengestellt.
* Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis