Er provozierte den sowjetischen Machtapparat, verstummte jahrelang und fand schließlich in seiner Musik die universelle Sprache zurück, die seither weltweit Millionen berührt. Arvo Pärt, der heute 90 wird, ist ein Künstler, der durch seinen Rückzug erst zu wahrer Größe fand.
Arvo Pärt wurde am 11. September 1935 in Paide geboren und wuchs in Rakvere auf. Sein erstes Klavier war beschädigt, einige Töne fehlten. Aus dem Zwang, fehlende Töne zu ersetzen, entwickelte sich früh jene asketische Klarheit, die sein Werk bis heute durchzieht.
In den 1960er-Jahren gehörte er zu den wenigen sowjetischen Komponisten, die mit serieller Musik experimentierten. Er ließ sich von Schönberg und Webern inspirieren und verstörte damit das kulturelle Establishment der UdSSR. Besonders 1968, als er mit "Credo" ein explizit christliches Werk vorlegte, eskalierte die Situation. Das Stück wurde sofort verboten, seine Arbeiten verschwanden aus den Programmen. Pärt geriet in eine Schaffenskrise und zog sich mehrere Jahre aus der Öffentlichkeit zurück.
Aus diesem Schweigen entstand ab Mitte der 1970er-Jahre eine neue (Ton-)Sprache: der sogenannte Tintinnabuli-Stil. Er basiert auf einfachsten harmonischen Verhältnissen und rhythmischer Klarheit. Pärt beschrieb diesen Schritt als Rückkehr zu den Grundlagen der Musik. Sein Stück Fratres von 1977 wurde bald in verschiedenen Fassungen aufgeführt und hat sich zu einem der meistgespielten Werke des 20. Jahrhunderts entwickelt – Anne-Sophie Mutter brachte es 1980 in Wien auf die Bühne und machte es international bekannt. Ähnlich berühmt wurde "Spiegel im Spiegel", das durch seine meditative Einfachheit in Konzertsälen ebenso wirkt wie in Filmen, etwa in Gus Van Sants 2002 entstandenen "Gerry".
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1980 durfte Pärt die Sowjetunion verlassen. Er zog zunächst nach Wien, erhielt mit seiner Familie die österreichische Staatsbürgerschaft und fand beim Verlag Universal Edition sofort eine künstlerische Heimat. Ein Jahr später ließ er sich in West-Berlin nieder. Dort entstanden einige seiner großen sakralen Werke, darunter "Te Deum", das 1988 in Köln uraufgeführt wurde und für viele Zuhörer zu einer spirituellen Offenbarung wurde. Erst 2010 kehrte er nach Estland zurück, inzwischen ein gefeierter Komponist, dessen Musik weltweit aufgeführt wird.
Seine Werke fanden auch im Gedenken an historische Ereignisse einen besonderen Platz. "Da pacem Domine" (2004) wurde erstmals kurz nach den Terroranschlägen von Madrid aufgeführt und entwickelte sich zu einer modernen Friedensmusik, die bis heute bei Gedenkveranstaltungen gespielt wird. Das Stück "Adam’s Lament" wiederum, das Texte des orthodoxen Mönchs Siluan von Athos vertont, gewann 2014 einen Grammy für die beste Choraufnahme.
Pärts Musik ist stark vom orthodoxen Christentum geprägt, doch sie wirkt weit über religiöse Grenzen hinaus. Trotz ihrer Schlichtheit sind seine Werke von höchster Präzision und verlangen den Interpreten größte Konzentration. Das zeigt sich auch in den Reaktionen: Wenn die Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado "Tabula Rasa" aufführten, war es nicht selten so still im Saal, dass selbst das Umblättern von Notenblättern hörbar wurde.
Heute gilt Arvo Pärt als einer der meistgespielten lebenden Komponisten. Sein Weg führte vom Außenseiterstatus in der Sowjetunion zu einer einzigartigen Stellung in der Gegenwartsmusik. Zu seinem 90. Geburtstag lässt sich festhalten: Er hat nicht Provokation Geschichte geschrieben, sondern durch Konsequenz und Mut.
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