Stellen Sie sich vor, Sie könnten im Konzert mit Ihrer Pulsfrequenz, Mimik und Gestik die Musik beeinflussen: das geht in Saarbrücken.
Denn das Staatsorchester Saarbrücken hat in Zusammenarbeit mit renommierten Forschungseinrichtungen das Projekt "The (Un)Answered Question“ entwickelt und ist dafür nun mit dem Innovationspreis der Deutschen Orchesterstiftung ausgezeichnet worden. "Biodaten der Zuschauerinnen und Zuschauer wurden aufgenommen, während das Stück vom Staatsorchester gespielt wurde, z.B. Pulsfrequenz, über eine Kamera wurden Gesichtsreaktionen aufgenommen. All diese Biodaten wurden in einen Rechner eingespeist und weiter verarbeitet und dann - nach einer kurzen Verzögerung - auf die Pulte der Musikerinnen und Musiker zurückgespielt und auf dem Pult wurde sozusagen das Notenmaterial auf Grundlage dieser Biodaten transformiert (...)und es enstand eine neue Komposition", erklärt Bodo Busse, Generalintendant des Saarländischen Staatsorchesters.
Dabei wurde das Experiment zwei Mal durchgeführt: einmal mit der linken, einmal mit der rechten Publikumshälfte durchgeführt. Die eine bestand aus eher gesetzerem Publikum, während in der anderen jüngere Menschen z.B. Studierende saßen. Das machte sich auch im "Rescript" bemerkbar. "So gab es einmal ruhigere Passagen, längere Zeitstrecken, (....) Episoden, die harmonischer etwas klassischer und tonaler waren und in der anderen Publikumshälfte war die Musik ein wenig beschleunigter (...) und tonal anders strukturiert. Man hatte fast den Eindruck einer Reaktionsweise, die auch mit dem Alter oder Lebenserfahrung zusammenhängt, hat zu diesen verschiedenen Versionen geführt", bemerkt Bodo Busse.
Also beeinflusst das Publikum direkt das Stück, das gespielt wird. Ein Experiment, dass auf mehreren Ebenen Erkenntnisse bringt: "Ein immersives Projekt, das wegweisend ist, nicht nur was digitale Kunstproduktion anbelangt, sondern in welchem Verhältnis steht eigentlich Rezeption und das Kunstwerk, wie verändern wir Menschen uns, wenn wir Kunst wahrnehmen? (...) Es war auch ein Mediziner dabei, von der Charité, der auch ganz eindeutig gesagt hat, während er das gesehen hat, hat er gewisse Körperreaktionen wahrgenommen bei den Zuschauern, die vielleicht auch für die kardiologische Forschung interessant sind", erläutert der Intendant.
Auch das Publikum war begeistert und fasziniert davon, was man mit der Technologie machen kann. So können vor allem auch junge, technikaffine Menschen für Klassik interessiert werden.
Wir haben bewiesen, dass die deutschen Theater, Orchester oder Sinfonieorchester durchaus am technologischen und innovativen Fortschritt auch gesamtgesellschaftlich teilnehmen.
Bodo Busse, Generalintendant des Saarländischen Staatstheaters
Kein Wunder also, dass das Projekt "The (Un)Answered Question“ den Innovationspreis der Deutschen Orchesterstiftung erhalten hat. Eine Auszeichnung, über die sich Generalintendant Bode Busse, sehr freut: "Ich finde das auch deshalb wichtig, weil wir bewiesen haben, dass die deutschen Theater, Orchester oder Sinfonieorchester durchaus am technologischen und innovativen Fortschritt auch gesamtgesellschaftlich teilnehmen. Dass die Orchester ein Zeichen setzen, wie sich die Gesellschaft verändern kann, wie man auch mit Technologie produktiv umgehen kann."
Mit dem Preisgeld von 25.000 Euro soll nun weiter in die Digitalisierung investiert werden, in Soft- und Hardaware und in weitere Experimente: "Schon in dieser Spielzeit machen wir eine neue Balletproduktion, eben auch zusammen mit Martin Hennecke, der ja auch Impulsgeber für dieses Projekt bei uns im Haus war. Auch da werden wir gewissermaßen die Live-Biodaten und Reaktionen des Publikums in eine Komposition von Martin Hennecke mit einfließen lassen und so wird jeder Ballettabend ganz anders werden", erklärt der Generalintendant. Die Zukunft der Orchester in Deutschland verspricht also spannend zu werden - und wird die Zukunft gesellschaftlich beeinflussen.