Das eine ist Hochkultur par excellence, das andere eher gemütliche Unterhaltung: Oper bzw. Netflix. In Bayreuth kommt nun beides zusammen.
Denn der junge Regisseur, der 33-jährige Valentin Schwarz, hat den „Ring des Nibelungen“ als eine Art Netflix Serie inszeniert. Dabei setzt er nicht auf die Optik, sondern eher auf den Aufbau einer Fernsehserie. Das "Rheingold" dient als eine Art Pilotfilm, der auf die weiteren Folgen neugierig macht. In deren Verlauf entwickelt sich nicht nur die Handlung, sondern auch die Personen und bringen ihre Vielfältigkeit zum Ausdruck - eben wie in vielen Serien.
Besonders ist auch: statt Göttern, Zwergen und Riesen setzt Valentin Schwarz auf Menschen, Probleme und Handlungsstränge von heute: "Wir legen unseren Fokus hier ganz deutlich darauf, dass wir es hier mit einer großen Familienerzählung zu tun haben. Also diese Mitglieder einer Großfamilie samt ihrer ungebetenen Gäste, die uns da über vier Abende begegnen. Konflikte innerfamiliärer Art: über mehrere Generationen hinweg, werden hier Leute, Kinder instrumentalisiert und diese großen Konflitke, die bieten großes Indentifikationspotential auch mit unseren eigenen Erfahrungen als Menschen", erklärt er gegenüber Klassik Radio.
Ein bisschen also wie "Ozark" oder eine andere Familiensaga bei Netflix. Nur ohne den Kitsch, betont Valentin Schwarz: "Es ist wirklich tragisch und eindrücklich, wie diese familie langsam zerstört wird. "Der Ring" ist ja auch eine große Abstiegsgeschichte: wie jede Figur hier versucht, dem unausweichlichen, dem Tod, auszuweichen und dem eigenen Leben einen Sinn zu geben."
Ähnlich wie man bei Netflix eine Serie manchmal auf einen Schlag "durchsuchtet", wird das auch bei diesem Ring in Bayreuth der Fall sein, erklärt Valentin Schwarz: "Soweit ich weiß, wir "Der Ring" auch nur als Zyklus zu erwerben sein. Dass heißt, diese 15 Stunden, die man dann im Festspielhaus verbringt, diese - um nochmal das Serienformat aufzugreifen - diese Erfahrung des Binge-Watching, darin zu bleiben, das ist etwas ganz besonderes. Wie in einem Zeittunnel gefangen zu sein und das erleben zu dürfen, diese 15 Stunden, sich darauf einzulassen, dass ist eben eine ganz spezifische Erfahrung im Festspielhaus in Bayreuth."
Damit sei der "Der Ring des Nibelungen" auch so aktuell wie nie: "Dem Leben einen Sinn zu geben, sei es jetzt durch Macht, durch Liebe, durch Nachkommenschaft oder durch künstlerische Betätigung, das ist, glaube ich, auch eine große Frage unserer Zeit, die wir uns alle stellen und die uns auf den Nägeln brennt. Gerade in den Krisen der heutigen Zeit, den unglaublichen Problemfeldern, die auf uns einprasseln, hier eine sinngebende Erzählung zu erfahren."
Durch die neue Inszenierung können auch Wagner-Neulinge angesprochen werden, glaubt Valentin Schwarz: "Wir müssen hier ja nicht irgendwelche Leitmotivtabellen wälzen, so dass man sich im Ring auskennt (...) bevor man hier in Bayreuth einen tollen Abend erleben kann. Im Gegenteil: Es ist ja meine Aufgabe, hier auch als Regisseur, eine visuelle Anbindung und Entsprechung zu finden, die unmittelbar anspricht und auch Erfahrungen zulässt, ob man nun ein Wagnerkenner oder ein Wagnerneuling ist. "Ich glaube, diese visuelle Ebene, die uns da begegnet, die kann auf jeden Fall für alle Generationen geeignet und bereichernd sein."
Stellt sich die Frage, wieviel Wagner bei diesem ungewöhnlichen Format noch übrig bleibt? "Wagner begleitet uns und Wagner ist unser Alpha und Omega an diesen Abenden. Und gleichzeitig ist das Werk größer als sein Schöpfer, sag ich immer. Das heißt: diese 150 Jahre von Ring-Rezeption in Bayreuth, diese Beschäftigung mit diesen Werken, hat gezeigt: es gibt keinen gemeinsamen Nenner bei dem Ring. Jede Inszenierung versucht neue Ansätze und versucht neue Facetten aus diesem monumentalen Werk herauszuholen."