Die Cellistin, die Auschwitz überlebte – Anita Lasker‑Wallfisch feiert ihren 100. Geburtstag

Die Cellistin, die Auschwitz überlebte – Anita Lasker‑Wallfisch feiert ihren 100. Geburtstag

Sie spielte Cello in Auschwitz – und überlebte. Anita Lasker-Wallfisch wird heute 100 Jahre alt. Ihre Lebensgeschichte ist ein Zeugnis des Grauens – aber auch des Mutes. Ein Leben für Toleranz, für Musik und gegen das Vergessen..

Die Cellistin, die Auschwitz überlebte – Anita Lasker‑Wallfisch feiert ihren 100. GeburtstagFoto: PumpingRudi/CC BY-SA 4.0

Am 17. Juli 1925 wurde Anita Lasker-Wallfisch in Breslau geboren. Sie wuchs in einem gebildeten jüdischen Elternhaus auf. Die Mutter war Geigerin, der Vater Jurist und Veteran des Ersten Weltkriegs. Es schien, als läge eine vielversprechende Zukunft vor ihr. Doch mit dem Erstarken des NS-Regimes zerbrach diese Aussicht. 1942 wurden ihre Eltern in das Durchgangsghetto Izbica deportiert und dort ermordet.

Ein Jahr später wurde Anita beim Versuch festgenommen, gefälschte Papiere für französische Zwangsarbeiter zu schmuggeln. Gemeinsam mit ihrer Schwester Renate wurde sie deportiert – getrennt voneinander – nach Auschwitz. Dort rettete eine einzige Angabe ihr das Leben: Sie sagte, sie sei Cellistin. Eine junge Frau, selbst Gefangene, antwortete: „Du wirst gerettet werden.“ Es war die Geigerin Alma Rosé, Nichte von Gustav Mahler und Leiterin des Frauenorchesters von Auschwitz. Sie holte Anita in das Ensemble.

Haupttor von Auschwitz
Foto: Nataliia/stock.adobe.com
Blick auf das Haupttor des Vernichtungslagers Auschwitz

Die Rolle als Musikerin war voller Widersprüche. Anita spielte Märsche für den Ausmarsch der Arbeitskolonnen, Sonntagskonzerte für SS-Personal, oft nur wenige Meter entfernt von den Gaskammern. Als einzige Cellistin war sie unentbehrlich. Der Lagerarzt Josef Mengele ließ sie mehrfach antreten, um Schumanns „Träumerei“ zu hören. Sie wusste, dass ihre Musik sie nicht ehrte – sie schützte sie.Im November 1944 wurde sie ins KZ Bergen-Belsen verlegt. Die Bedingungen dort waren entsetzlich. Hunger, Krankheit und die tägliche Angst bestimmten die letzten Monate bis zur Befreiung am 15. April 1945 durch britische Truppen. Kurz darauf sagte sie im Belsen-Prozess als Zeugin gegen Lagerpersonal aus.

Nach dem Krieg emigrierte sie nach England, gründete dort gemeinsam mit ihrer Schwester ein neues Leben. Sie studierte am Guildhall, heiratete den Pianisten Peter Wallfisch und wurde Gründungsmitglied des English Chamber Orchestra. Die Musik wurde ihr Beruf – und zugleich ein Stück wiedergewonnene Würde. Ihr Sohn Raphael Wallfisch wurde einer der angesehensten Cellisten seiner Generation.

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Erst viele Jahre später begann sie, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. 1996 veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel You Shall Inherit the Truth (deutsch: Ihr sollt die Wahrheit erben). Ab den 1990er-Jahren reiste sie regelmäßig nach Deutschland, sprach an Schulen, Universitäten und auch im Bundestag, zuletzt 2018. „Es gibt keine Entschuldigungen und keine Erklärungen für das, was damals geschehen ist. Es bleibt nur die Hoffnung: die Hoffnung, dass eines Tages die Vernunft siegen wird.“ Ihre Worte sind keine Anklage, sondern ein Appell an Verantwortung und Menschlichkeit. Besonders junge Menschen ruft sie dazu auf, wachsam zu bleiben – gegenüber Ausgrenzung, Verrohung und dem Verlust von Empathie.

In einem späteren Interview betonte sie: „Rassismus ist leider nicht ausgestorben. Aber als Mitglieder der Menschheit sind wir füreinander verantwortlich. Niemand kommt mit dem Etikett ‚Übermensch‘ oder ‚Untermensch‘ auf die Welt – diese Etiketten haben wir erfunden.“ Das gilt nicht nur für eines der schlimmsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, sondern hat auch mit Blick auf die heutige Gesellschaft nichts an seiner Aktualität verloren. 

Anita Lasker-Wallfisch warnt bis heute vor Antisemitismus und jeder Form von Ausgrenzung – stets ohne Verbitterung. Und auch der Gedenkkultur begegnete sie mit wachem Blick. Nicht alles, was gut gemeint ist, hält sie für hilfreich. Ihre Haltung ist klar, ihre Worte überlegt.

Heute wird sie 100 Jahre alt. Anita Lasker-Wallfisch hat erlebt, was niemand erleben sollte. Aber sie hat nie zugelassen, dass die Täter ihre Stimme für immer zum Schweigen bringen. Sie hat ihr Leben nicht der Vergangenheit gewidmet, sondern der Verantwortung für die Zukunft.


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Holger Hermannsen / 16.07.2025

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