Jede Woche wählt ein Mitglied aus der Redaktion eine persönliche Wahre Geschichte der Woche aus und verleiht ihr eine besondere Note.
Diese Woche kommentiert Klara Jäger:
Heute kann man sie überall bewundern: auf Kostümen, als Schmuck oder Bastelverzierung: Straßsteine. Dass sie einmal Bewunderung und Erstaunen hervorgerufen haben und es sogar eine Legende um sie gibt, die der eines richtigen Diamanten würdig wäre, finde ich sehr spannend. Tatsächlich hat die Geschichte alles, was zu einem guten Märchen dazugehört: ein Schlitzohr, eine Königin und einen handfesten Skandal inklusive Kerker und Happy End.
In Wien lebte einst ein Juwelier namens Joseph Straßer, der in seiner Freizeit chemische Experimente durchführte. Dabei entstanden Steine, die den begehrte und teuren Diamanten sehr ähnlich sahen. Als im Tanzsaal zur „Mehlgrube“ ein Ball stattfand, sah er die Gelegenheit gekommen, die Ergebnisse seiner Experimente zu nutzen: er stattete sich, seine Frau und seine Tochter großzügig mit den falschen Steinen aus. Als die Familie so überreich ausstaffiert beim Ball auftauchte, sorgte das leider nicht nur für Bewunderung, sondern auch für Argwohn. Man rätselte, wie der Juwelier an so viele Diamanten kommen könnte und kam zu dem Schluss, dass er sie wohl gestohlen haben musste.
Man rätselte, wie der Juwelier an so viele Diamenten kommen könnte und kam zu dem Schluss, dass er sie wohl gestohlen haben musste.
So endete die Ballnacht für Joseph Straßer im Kerker. Erst am nächsten Tag konnte er glaubwürdig erklären, wie er in den Besitz der mysteriösen Steine gekommen war. Er wurde freigelassen.
Doch die Erleichterung währte nur kurz: denn es folgte eine Vorladung zum Kaiser. Der war so beeindruckt von den Steinen (und vielleicht auch der Möglichkeit, bei Schmuckgeschenken günstiger davon zu kommen), dass er ihn eingehend lobte. Die Kaiserin war weniger eingenommen von dem unechten Schmuck und zahlte ihm eine ansehnliche Summe mit der Bitte, sein Glück doch im Ausland zu probieren. Straßer wanderte nach Frankreich aus. Dort boomte das Geschäft mit den – wie sie die Franzosen nannten: Pierre de Strass – den Strasssteinen.
Eine schöne Legende – doch leider frei erfunden. Denn Joseph Strasser hat es nie gegeben. Wohl aber einen französischen Goldschmied: George Frédéric Strass. Ihm gelang es, die berühmte Diamantenimitation zu schaffen und davon sogar Ludwig XV zu begeistern. Angeblich fanden so Strasssteine sogar neben Edelsteinen Platz bei den Kronjuwelen.
So vereinen sich Original und Kopie, Dichtung und Wahrheit in den Strasssteinen.
Funkelnde Grüße,
Ihre Klara Jäger
(13.11.21/K.Jäger)