Von einem Dachboden in die Schatzkammer deutscher Musikgeschichte: Das Richard Wagner Museum in Bayreuth hat einen einzigartigen Fund gemacht – den ersten Entwurf des Librettos zu „Tannhäuser“, einer der zentralen Opern Richard Wagners. Dieses Dokument wirft ein neues Licht auf den rastlosen Komponisten und auf ein Werk, das bis heute fasziniert, provoziert – und begeistert.
Auf 17 Seiten, handschriftlich, mit zahlreichen Streichungen, Nachträgen und Korrekturen, beginnt Wagner 1843 eine Reise ins Herz seines musikalischen Denkens. Die Notizen tragen noch den ursprünglichen Titel „Der Venusberg / Romantische Oper in 3 Acten“, bevor das Werk zu dem wurde, was wir heute als „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ kennen. Es ist das erste Mal, dass die dramatische Struktur dieses Musikdramas in ihrer Entstehung nachvollzogen werden kann – ein seltener Einblick in den Schaffensprozess eines Mannes, der die Oper revolutionierte.
„Mit dem Erwerb dieser einzigartigen Handschrift gelingt es, ein zentrales Dokument einer entscheidenden Phase in Wagners künstlerischer Entwicklung dauerhaft für die Forschung, die Öffentlichkeit und das kulturelle Gedächtnis Deutschlands zu bewahren“, sagt Prof. Dr. Frank Druffner von der Kulturstiftung der Länder. Kein Wunder also, dass die Stiftung fast 50.000 Euro zum Ankauf beigesteuert hat. Nach Jahrzehnten im Privatbesitz und einem Wiederauftauchen bei Christie’s im Jahr 2024 wird das Autograph nun dauerhaft im Wagner-Museum bewahrt – dort, wo Wagners Geist am stärksten weht.
Doch was macht Tannhäuser eigentlich so besonders? Die Oper ist ein musikalisches und thematisches Experiment. Inspiriert von mittelalterlichen Sagen, insbesondere der Legende des Ritters Tannhäuser, der zwischen der hedonistischen Welt der Venus und dem asketischen Christentum schwankt, stellt Wagner Fragen, die auch heute noch aktuell sind: Wie lebt man richtig? Wie viel Sinnlichkeit erträgt die Moral? Gibt es Erlösung – und wenn ja, für wen?
Die Musik folgt dieser Spannung: Sie schwankt zwischen den rauschhaften, chromatischen Klängen des Venusbergs und den strengen, fast liturgischen Tönen der Pilgerchöre. In Tannhäuser versucht Wagner zum ersten Mal, das Ideal des „Gesamtkunstwerks“ zu realisieren – eine Verschmelzung von Dichtung, Musik und Bühnenbild zu einem einzigen dramatischen Ausdruck.
Als Wagner 1843 an diesem Werk schrieb, stand er an einem Wendepunkt. Die Revolution von 1848 lag noch vor ihm, ebenso wie das Exil in der Schweiz. Doch mit Tannhäuser formuliert er bereits das, was seine späteren Werke – Tristan, Ring, Parsifal – auszeichnen sollte: eine radikale Neuvermessung von Harmonie, Drama und musikalischer Zeit.
Der nun erworbene Entwurf dokumentiert genau diesen Übergang. Im Kontext des Richard Wagner Museums, das auch das Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung beheimatet, schließt er eine bislang klaffende Lücke: Zwischen dem Prosakonzept und der Reinschrift des Librettos fehlte bislang dieser Zwischenschritt – die Werkstattphase, das Ringen, das Zweifeln.
Die Bedeutung dieses (Zeit-)Dokuments reicht weit über Bayreuth hinaus. Für die Forschung eröffnet sie neue Wege zur Interpretation. Für das Publikum ist sie ein greifbares Stück Musikgeschichte. Und für Deutschland ist sie ein Kulturgut von nationalem Rang.
Denn Wagner, so kontrovers seine Person bleiben mag, hat die Musiklandschaft tief geprägt. Seine Werke gehören zu den meistaufgeführten Opern weltweit. Und Tannhäuser – zwischen Skandal und Sensation, Uraufführungsdesaster in Dresden und umjubelten Revisionen in Paris – bleibt ein Meilenstein der Operngeschichte.
Dass das ursprüngliche Manuskript nun nicht länger verschollen, sondern wieder Teil des kulturellen Gedächtnisses ist, ist mehr als ein glücklicher Fund: Es ist eine Erinnerung daran, wie lebendig Geschichte sein kann – wenn man ihr nur zuhört.