Mit seiner Musik hat er die Filmwelt geprägt, wie kaum ein anderer: Doch warum klingt Ennio Morricone auch heute noch so gegenwärtig – und was macht seine Kompositionen unvergesslich? Warum hat er immer noch Einfluss auf Generationen von Soundtrack-Komponisten? Eine Spurensuche tief ins Herz des Kinos.

Als Sergio Leone Mitte der 1960er Jahre den „Italo-Western“ quasi im Alleingang erfand, muss das für das damalige Kinopublikum ein Schock gewesen sein – aber einer, der fesselte, berührte und das Kino nachhaltig veränderte.
Natürlich hatte Akira Kurosawa („Rashomon“, „Die sieben Samurai“) diese Entwicklung im asiatischen Kino bereits vorweggenommen – aber das westliche Publikum wurde von diesem neuen, dreckigen Stil, dem Topos des Antihelden – kongenial verkörpert von Clint Eastwood – und der rauschhaft inszenierten Gewalt auf der Leinwand quasi überrollt.
Der eigentliche Star aber war die Musik: Statt kitschiger Hollywood-Fanfaren kamen da plötzlich Klänge, die staubig, roh und in ihrer Reduktion aufs Wesentliche schmerzhaft schön waren. Menschen, die „Für eine Handvoll Dollar“ im Kino sahen, hörten etwas, das sie nicht einordnen konnten:
Eine Mundharmonika, die wie ein letzter Atemzug durch die staubige Luft zieht, rau und einsam zugleich.
Eine E-Gitarre, die wie ein Blitz durch die trockene Hitze schneidet und jede Szene nach vorne peitscht.
Eine Melodie, die in ihrer Schlichtheit direkt unter die Haut kriecht – archaisch, ehrlich, unvergesslich.
Das ist keine Filmmusik – das ist ein Ereignis.
Morricone brach mit allem, was damals als „seriöse Filmmusik“ galt. Kein klassisches Orchester, kein Gehorsam gegenüber Hollywoods Regeln. Stattdessen: Chöre, die „Aaah“ und „Eeeeh“ stöhnten. E-Gitarren, Trommeln, Pfeifen, ja selbst Maultrommeln – und Stille. Seine Arrangements waren wild und anarchisch. Und genau das machte sie so modern.
In einer Zeit, in der der Western als männlich-heroisches Märchen galt, gab Morricone ihm eine Seele: oft melancholisch, manchmal ironisch, aber immer zutiefst menschlich. Seine Musik war die unsichtbare Hauptfigur in Leones Filmen – größer als jedes Gesicht in Cinemascope-Format auf der Leinwand.
Was ihn so besonders machte: Morricone komponierte mit Gefühl, aber nicht mit Pathos. Seine Stücke sind nie kitschig, nie selbstverliebt. Stattdessen schwingen sie zwischen Ekstase und Stille, Schmerz und Hoffnung. Es wird nie überkomplex, sondern bleibt immer in einfacher Klarheit – aber genau das macht sie so groß!
Hört man The Ecstasy of Gold (aus dem Film „Zwei glorreiche Halunken“), spürt man, wie sich etwas im Inneren aufbäumt – als würde man selbst über die Wüste galoppieren, auf der Suche nach etwas, das man nie ganz erreichen wird.
Und Gabriel’s Oboe aus "The Mission"? Das ist pure melancholische Schönheit in Musik gegossen. Diese Klarheit, diese Ruhe – sie trifft mitten ins Herz, als würde für einen Moment die Welt den Atem anhalten.
Was man leicht übersieht: Morricone war kein Nostalgiker, sondern ein Avantgardist. Noch bevor der Begriff „Sounddesign“ überhaupt existierte, hat er ihn gelebt.
Er experimentierte mit Geräuschen, die später Komponisten wie Hans Zimmer („Fluch der Karibik“) oder Trent Reznor („Gone Girl – Das perfekte Opfer“) selbstverständlich einsetzen sollten. Er machte Alltagsklänge zu Emotionen, Stille zu einem Teil seiner Musik.
Quentin Tarantino hat das verstanden – und Morricone Jahrzehnte später mit seinem Kammerspiel-Western „The Hateful Eight“ zurückgeholt. Das war kein Retro-Moment, sondern ein Statement: Der Maestro war nie weg. Seine musikalische Sprache hatte längst das Kino verändert – von Hollywood bis Netflix.
Heute hört man Morricones DNA überall: im minimalistisch dröhnenden "Dune"-Score von Zimmer, in den gebrochenen, sehnsüchtigen Melodien von Ludovico Einaudi, selbst in Pop und Trip-Hop. Wenn Billie Eilish in dunklen, intimen Klangräumen flüstert – irgendwo dazwischen schwingt Morricones Geist mit.
Vielleicht ist das das Geheimnis seiner Unsterblichkeit: Morricones Musik erzählt nicht einfach Geschichten – sie fühlt sie. Sie lässt uns das Kino erleben, bevor überhaupt ein Bild erscheint.
Wenn seine Melodien erklingen, erfüllt ehrfürchtiges Schaudern den Kinosaal: die Leinwand flimmert, der Staub tanzt im Licht, und man hält den Atem an, weil gleich etwas Bedeutendes passiert.
Morricone hat nie nur komponiert. Er hat uns gezeigt, wie groß Musik sein kann – und dass sie, wenn sie ehrlich ist, selbst Schweigen lauter macht als jeden Pistolenschuss.
Und das ist die wahre Magie.
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