Seit über 100 Jahren wird Hugo von Hofmannsthals Jedermann beim berühmtesten Kultur-Festival Österreichs gespielt. Aber warum genau dieses Stück? Und was macht es für Salzburg bis heute so bedeutend? Eine Spurensuche zu einem Theater, das mehr ist als Tradition.
Es gibt kaum ein anderes deutschsprachiges Stück, das so regelmäßig auf großer Bühne gezeigt wird wie Hugo von Hofmannsthals Jedermann. Seit der ersten Aufführung am 22. August 1920 auf dem Salzburger Domplatz ist das Mysterienspiel untrennbar mit den Salzburger Festspielen verbunden. Die barocke Kulisse des Doms, die offene Bühne, das abendliche Licht – alles zusammen macht die Inszenierung jedes Jahr zu einem besonderen Ereignis. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Ritual?
Die Vorlage, das englische "Everyman", stammt aus dem 15. Jahrhundert. Hofmannsthal übertrug es 1911 in die Gegenwart, ohne seine religiös-moralische Kraft zu verlieren. Der reiche Jedermann wird vom Tod überrascht, verliert Besitz, Freunde und Ansehen, und erkennt am Ende, dass nur der Glaube und gute Werke Bestand haben. Für Hofmannsthal war das kein Kirchenstück, sondern ein existenzielles Drama für alle – über Verantwortung, Vergänglichkeit und den Umgang mit Macht.
Nach dem Ersten Weltkrieg wollten die Gründer der Festspiele, darunter Max Reinhardt und Richard Strauss, mit Salzburg einen Ort schaffen, an dem Kunst und Spiritualität ein Gegenmodell zum zerstörerischen Zeitgeist bilden. Jedermann wurde zum sichtbaren Ausdruck dieses Gedankens. Nicht im geschlossenen Theater, sondern unter freiem Himmel, öffentlich, feierlich, fast liturgisch.
Bis heute hat sich das Stück behauptet. Jede Generation interpretiert es neu. In den letzten Jahren wurde die Figur des Todes von einer Frau verkörpert, die Dialoge modernisiert, und das Spiel mit Symbolik, Musik und Licht weiterentwickelt. Die Namen der Darstellerinnen und Darsteller – von Curd Jürgens über Klaus Maria Brandauer bis Lars Eidinger – sind eng mit dem Ruf des Festivals verbunden.
2025 kehrt "Jedermann" erneut zurück auf den Domplatz. Für viele ist es das eigentliche Eröffnungsritual, der Moment, in dem Salzburg in den Festspielsommer eintaucht. Die neuen Besetzungen, der aktuelle gesellschaftliche Kontext und der Blick auf über 100 Jahre Geschichte machen deutlich: Dieses Stück bleibt lebendig, weil es sich ständig neu stellt. Wer die Festspiele mit offenen Sinnen erleben will, beginnt mit Jedermann – und begibt sich damit auf eine Reise, die jedes Jahr aufs Neue berührt.