Mozart im Auto – live und ohne Lautsprecher. In der Türkei wird das Fahrzeug selbst zum Instrument: Wer exakt Tempo 100 fährt, bringt die Straße dazu, den „Türkischen Marsch“ zu spielen. Skurril, charmant und keineswegs ein Einzelfall. Ein Blick auf das weltweite Phänomen musikalischer Straßen.
Es gibt Orte, an denen man klassische Musik sicher nicht erwarten würde – etwa zwischen Nallıhan und Beypazarı, mitten auf einer türkischen Schnellstraße. Dort erklingt Mozarts „Rondo Alla Turca“, sobald Autofahrer sich brav ans Tempolimit halten. Kein Radio, keine Streaming-App – das eigene Auto wird hier zum fahrenden Streichquartett.
Das türkische Verkehrsministerium hat diese musikalische Überraschung ganz offiziell auf die Straße gebracht – nicht als PR-Gag, sondern als charmanten Versuch, Verkehrsdisziplin mit einem Hauch von Kultur zu verbinden. Die Technik ist denkbar simpel: In präzisen Abständen gefräste Rillen auf dem Asphalt bringen die Reifen zum Singen – oder zumindest zum Summen in erkennbarer Tonfolge. Aber nur wenn die korrekte Geschwindigkeit gehalten wird.
Das Prinzip kennt man im Kern schon lange: Wer auf Autobahnen einmal mit einem Reifen über die Randmarkierungen geraten ist, kennt das warnende Brummen, das uns wachrütteln soll. Der Unterschied? Während andere Straßen ein müdes „Rrrrr“ von sich geben, trillert es hier elegant – ganz in Mozartscher Manier.
Weltweit hat sich das Konzept inzwischen verbreitet – mit regionalem Repertoire. In Japan zum Beispiel, dem Mutterland der „Melody Roads“, gibt es über 30 solcher Strecken. Sie spielen Volkslieder, Anime-Melodien oder Beethoven, wenn man mit der exakt richtigen Geschwindigkeit fährt. Und das ist kein Zufall: Wer zu schnell ist, hört nur Dissonanzen – Musikpädagogik für Fortgeschrittene, ganz ohne erhobenen Zeigefinger.
Auch in Südkorea ließ man Straßen singen – mit „Mary Had a Little Lamb“ gegen die Müdigkeit, nicht gegen musikalischen Geschmack. Und in den USA experimentierte man 2008 in Kalifornien mit Rossinis „Wilhelm Tell“-Ouvertüre. Zugegeben, das Galopp-Tempo gefiel nicht allen Anwohnern und so wurde zumindest dieser Versuch dem geneigten Autofahrer die klassische Musik näherzubringen bald wieder rückgängig gemacht.
Doch das ändert nichts am musikalischen Kern dieser Idee: Wo sonst nur Motoren dröhnen, erklingt plötzlich Melodie. Für ein paar Sekunden wird die Fahrt zur Fuge, die Straße zur Partitur – und der Alltag klingt plötzlich weniger gewöhnlich.
Ob man nun Mozart hört oder „Twinkle, Twinkle“: Die Musikstraßen feiern eine liebevolle, schräge Liaison zwischen Technik und Tonkunst – und lassen selbst das Tempolimit wie eine Ouvertüre klingen. Wer hätte gedacht, dass Verkehrserziehung so viel Esprit haben kann? Also, liebe Klassikfans: Beim nächsten Roadtrip vielleicht doch mal den Fuß vom Gas nehmen – es könnte sich lohnen.