Singspiel „Leipziger Luft“ 

Musik zum Hören und Riechen:Singspiel „Leipziger Luft“ 

Ein Singspiel, das eine oft vergessene Seite Leipzigs zeigt und nicht nur Ohren und Augen, sondern auch die Nase anspricht.

Singspiel „Leipziger Luft“ Foto: Jeffrey Döring

Ein besonderes Geruchserlebnis

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Hauptstadt des Parfums nicht etwa Paris, auch nicht Grasse…sondern Leipzig. Heute ist dieser Fakt kaum noch bekannt, das Singspiel „Leipziger Luft“ möchte das ändern. Dabei treffen Schauspiel-Szenen, Gedichte und historische Texte auf Gesangseinlagen und Musikstücke von Clara Schumann über Alma Mahler bis hin zu Hans Eisler. Die besondere Zutat des Singspiels sind aber sicher die Düfte. Sie werden von den Sängerinnen und Sängern szenisch an die Zuschauer gereicht, in Form von Ölen, Salben, aber auch festen Kräutern. Ein Duft wird auch mit einem Diffusor in den Raum geleitet. Dabei ist das Repertoire sehr weit gefächert, erklärt Initiator und Regisseur Jeffrey Döring: „Wir eröffnen den Abend mit Gerüchen, die zuerst einmal vielleicht ungewöhnlich erscheinen, nämlich mit Majoran und Kümmel. Das hat seinen historischen Ursprung darin, dass Majoran oder Anis, Kümmel, Pappel und Hopfen schon in Leipzig zu der Zeit wuchsen, durch diesen Leipziger Auwald, der ein sehr feuchtes Gebiet ist. Danach geht es auch um die Importe der Industrie, da wird z.B. Fresie gerochen. Besonders bekannt wurde Leipzig vor allem für seine großen Rosenfelder und da freue ich mich sehr, denn da wurde der Duft der damaligen Rose künstlich nachgebaut

Kümmel killt, Badusan bringt zum Strahlen

Hinzu kommen dann noch Düfte, die ikonisch für das frühere Ostdeutschland sind, fügt Jeffrey Döring hinzu: „Wir haben z.B. ‘Badusan“ das war ein Schaumbad zu DDR-Zeiten oder die Florena-Creme. Das sind eben auch Geruchskompositionen, die sind damals im volkseigenen Betrieb „Chemische Fabrik Miltitz“ entstanden." Die Reaktionen des Publikums auf die Gerüche sind dabei sicher ebenso vielfältig wie das Duftrepertoire: „Also gerade, wenn es um so Gerüche aus DDR-Zeiten geht, wie Badusan oder Florena Creme, da strahlen die Gesichter mancher Menschen sehr, weil man sich plötzlich an etwas erinnert fühlt, das früher einmal zum Alltag gehörte und heute gar nicht mehr so selbstverständlich vielleicht im Badezimmer steht. Bei den blumigen Gerüchen ist es natürlich auch so, man assoziiert ja oft den Frühling damit, also gerade Flieder und Rose hat etwas sehr Positives. Umgekehrt gerade der Kümmel oder der Majoran sorgen schon für Irritationen. Mancher sagt:’Boah, der Kümmel der hat mich aber arg gekillt. Der haut einen schon ganz schön um, vor allem, wenn man ihn nicht erwartet'“, lacht Jeffrey Döring. 

https://youtu.be/SyHr8TFWxUE

Anfänge als Nebenprodukt

Der Parfum-Boom in Leipzig begann eigentlich eher zufällig, berichtet er. Eine Drogerie hatte ein paar ätherische Öle zusätzlich ins Sortiment genommen. Doch die Kundschaft flog dermaßen auf die neuen Produkte, dass am Ende die Drogerie mit ihren Pulvern, Tees, Heilsalben und Kräutern aufgegeben wurde und sich nur noch auf die Herstellung der ätherischen Öle konzentrierte. Schließlich gab es im 19. Jahrhundert dann um die 15 Parfumfabriken (…) und Leipzig überholte Paris und Grasse. Teils mit ein paar Tricks. „Man wollte selber Lavendelöl herstellen, wofür Grasse bekannt war. Doch Lavendel wuchs in Deutschland nicht so gut. So haben sie eben einfach Destillationswerke in Südfrankreich angebaut und haben den französischen Lavelbauern etwas mehr bezahlt, damit sie den Lavendel von dort bekamen. (…) das hat natürlich nicht zu den besten Nachbarschaftsgefühlen zwischen Deutschland und Frankreich geführt“, erzählt Jeffrey Döring schmunzelnd. „Das fand ich schon ganz putzig, dass die dann sagen: ‘Gut, es wächst bei uns nicht, dann bauen wir das Werk eben einfach in Frankreich.’“

Parallelen zwischen Gerüchen und Poesie

A propos andere Länder und Sprachen: „Das Erstaunliche ist: für die deutsche und viele europäische Sprachen gibt es keine Worte für Gerüche. Wir benutzen immer nur Vergleiche, wie z.B. etwas ist “angenehm", „zitrusartig“, „blumig“, „frisch“, „beißend“ oder „stechend“, aber wir haben nie ein Wort erfunden für Gerüche, was sehr erstaunlich ist. Damit ist der Geruch der Poesie sehr nahe, weil er immer den Vergleich braucht. Er braucht immer die Metapher. So wie ein Gedicht auch nie nur die Welt beschreibt, sondern sich ihr annähert durch Worte, die Vergleiche ziehen oder die versuchen, eine Stimmung erzeugen, aber sie gar nicht erst aussprechen", erläutert der Regisseur. 

Ein dufter Abend - der in Erinnerung bleibt

In jedem Fall kommt der Mix zwischen Poesie, Musik und Düften beim Publikum sehr gut an: „Es kamen wirklich viele Leute zu mir und hatten das Bedürfnis zu reden, das war wirklich toll", berichtet Jeffrey Döring. Vor allem Menschen, deren Eltern und Großeltern noch in den Parfumwerken Leipzigs gearbeitet haben, seien oft gerührt und fühlten sich gesehen. "Das Schöne ist auch: diesen Testreifen kann man mit nach Hause nehmen und die Leute sind ganz beglückt, dass sie noch diese fünf Gerüche haben und riechen noch im Hinausgehen oder stecken sich den Teststreifen in die Handtasche. Das heißt, obwohl Geruch eigentlich so etwas Vergängliches ist, bleibt da fast noch etwas nachhaltig da, zum Erinnern, was noch auf einer anderen Ebene ist, als ein Programmheft oder ein Foto von der Vorstellung.“ Nach den Vorstellungen im Sommer gibt es nun wieder zwei am Freitag, den 29.10.23 und Samstag, den 30.10.23, jeweils um 19.30 im Mendelssohn Haus in Leipzig

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