Walzer, Ruhm und Einsamkeit – Johann Strauss und der Preis des Glücks

Zum 200. Geburtstag des WalzerkönigsWalzer, Ruhm und Einsamkeit – Johann Strauss und der Preis des Glücks

Er ließ die Welt tanzen – und suchte selbst vergeblich nach Ruhe. Johann Strauss, der Walzerkönig, schuf Musik voller Glanz und Sehnsucht. Hinter der Leichtigkeit seiner Melodien verbarg sich das Herz eines Getriebenen – eines Künstlers, der das Glück anderer komponierte, während ihm das eigene entglitt.

Johann Strauss IIFoto: Gemeinfrei

Er schrieb die Melodie eines Jahrhunderts – eine Musik, die leicht schwebt und doch schwer trägt. Wenn heute ein Walzer von Johann Strauss erklingt, scheint die Welt für einen Moment geordnet, hell, vertraut. Und doch war ausgerechnet jener Mann, der Millionen zum Tanzen brachte, im Innersten ein Suchender: nach Ruhe, nach Zugehörigkeit, nach einem Glück, das sich ihm stets entzog.

Er war der Sohn eines Mannes, der selbst ein König des Taktes war. Schon dieser Umstand prägte sein Dasein. Johann Strauss Vater – streng, ehrgeizig, gefeiert – wollte für den Sohn alles, nur keine Rivalität. Der junge Johann lernte die Geige heimlich, fast schuldbewusst, er komponierte im Verborgenen, als müsse er sich das Recht auf Musik erst erkämpfen. Als er 1844, kaum neunzehnjährig, im Dommayer’s Casino debütierte, war es nicht nur der Beginn einer Karriere, sondern ein stiller Aufstand: der Sohn gegen den Vater, das Individuum gegen die Tradition. Das Publikum jubelte, der Vater schwieg.

The last waltz von Clarence F. Underwood (1912)
Foto: Gemeinfrei
"The Last Waltz" von Clarence F. Underwood (1912)

Zwischen Triumphen und Zweifel

Fortan war Strauss ein Phänomen. Europa tanzte nach seinen Melodien, Königinnen und Kaiser baten ihn zu Hof, und selbst in St. Petersburg oder Boston stritten sich Gesellschaften darum, wer den Walzerkönig zuerst verpflichten durfte. Seine Musik war mehr als Unterhaltung: sie war ein Versprechen: dass das Leben leicht sein könne, elegant, voller Schwung und Glanz.

Doch hinter dieser Leichtigkeit wuchs eine Einsamkeit, die ihn nie ganz verließ. Strauss, der Perfektionist, der Getriebene, schrieb in endlosen Nächten Partituren, feilte an Übergängen, probte unermüdlich mit seinem Orchester. Freunde beschrieben ihn als charmant, höflich, aber oft abwesend – als wäre sein Geist schon beim nächsten Takt. Der Beifall war berauschend, doch die Stille nach dem letzten Applaus muss drückend gewesen sein.


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Der Mensch hinter dem Walzer

Drei Mal suchte Strauss das Glück in der Ehe – drei Mal fand er es nicht. Jetty Treffz, seine erste Frau, war älter, klug, erfahren, fast mütterlich: sie führte seine Geschäfte, hielt ihm den Rücken frei. Als sie 1878 starb, war er gebrochen. Nur wenige Wochen später heiratete er die junge Schauspielerin Lili Dittrich, als wolle er den Schmerz durch Bewegung besiegen. Doch die Beziehung war ein Irrtum, geboren aus Verzweiflung; sie endete im Skandal. Erst mit Adele Deutsch, seiner dritten Frau, kehrte eine Art Frieden ein, doch ein spätes, fragiles Glück – kein triumphales.

Strauss blieb kinderlos. Vielleicht war das sinnbildlich für sein Leben: viel Erschaffenes, aber kein Erbe aus Fleisch und Blut, niemand, dem er das weitergeben konnte, was ihn selbst so zerrissen hatte – den unstillbaren Wunsch, gehört und geliebt zu werden.

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Die Melancholie der Leichtigkeit

Seine Musik trägt diese Zwiespältigkeit in sich. Hinter dem schwebenden Dreivierteltakt lauert eine feine Melancholie – eine Ahnung davon, dass jeder Tanz vergeht. „An der schönen blauen Donau“ klingt wie ein Traum, den, nur schwer zu fassen, schon im Erwachen verliert. In „Wiener Blut“ glüht Leidenschaft, aber sie ist diszipliniert, gebändigt. Selbst der „Kaiserwalzer“, triumphal und majestätisch, ist in seinem Inneren fast zärtlich, als wollte der Komponist sagen: Seht her, selbst Macht ist nur eine Illusion, die einen Augenblick lang strahlt.


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Brahms, der ihn bewunderte, soll dereinst gesagt haben, er neide Strauss seinen unbändigen Einfallsreichtum, seine Fähigkeit die Menschen mit seiner Musik zu beseelen. Doch dieses Glück, das er anderen gab, schien ihm selbst stets verwehrt. Strauss lebte in einem Paradox: Er komponierte Freude, aber sein Leben war von Rastlosigkeit gezeichnet. Vielleicht ist das der Preis, den jene zahlen, die das Glück anderer zu ihrer Berufung machen.

Todesanzeige Johann Strauss II
Foto: Gemeinfrei
Todesanzeige von Johann Strauss (Sohn)

Abschied eines Getriebenen

Am 3. Juni 1899 starb Johann Strauss in seiner Heimatstadt Wien. Auf dem Zentralfriedhof, in Sichtweite Mozarts und Beethovens, ruht er unter einem Marmorengel, dessen Blick leicht gesenkt ist, als lausche er einem Walzer, der noch leise in der Luft hängt. Es ist ein passendes Bild: Auch Strauss’ Leben war eine Musik, die nie ganz verklingen wollte.

Sein Vermächtnis bleibt im doppelten Sinne: die heitere Oberfläche und die stille Tiefe darunter. In jeder seiner Melodien schwingt jene Sehnsucht mit, die ihn zeitlebens begleitete - die Sehnsucht nach einem Glück, das sich nicht in Takten fassen lässt.

Vielleicht liegt gerade darin seine Größe: dass er die Welt in Bewegung brachte, während er selbst nach Ruhe suchte. Und dass seine Musik uns bis heute tanzen lässt - nicht, weil sie leicht ist, sondern weil sie das Schwerste verbirgt, was ein Künstler fühlen kann: die Einsamkeit desjenigen, der alles gibt, was er selbst nie empfing.

Holger Hermannsen / 24.10.2025

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