Was in Karlsruhe passiert, ist eine Farce

Brüggemanns prüfender Blick Was in Karlsruhe passiert, ist eine Farce

Jeden Freitag um 09:40 Uhr und 16:10 Uhr kommentiert Klassikexperte Axel Brüggemann das Geschehen aus Klassik und Kultur.

Was in Karlsruhe passiert, ist eine Farce

Man könnte es als Provinzposse abtun, wenn es erstens nicht so ernst wäre und zweitens nicht so symptomatisch.

Wie Karlsruhes Intendant Peter Spuhler die Geschäfte führt steht schon lange in der Kritik: Ein Überwachungs-Fetischist soll er sein, von cholerischen Anfällen wird berichtet und von Übergriffen. Lange wurde das politisch ignoriert.

Erst nach der Wahl in Karlsruhe wendete sich das Blatt, man wollte sich zum Ende der Saison von Spuhler trennen, bestellte mit Ulrich Peters auch einen Nachfolger. Und nun das: Wenige Tage bevor der Neue beginnt, wurde Spuhler vom Verwaltungsrat abberufen, oder besser gesagt, fristlos entlassen. 

All das ist sinnlos, wenn wir nicht rechtskräftige Gremien schaffen, in denen Verstöße festgehalten und auch juristisch sauber geahndet werden können.

Spekulationen um Spuhlers Rauswurf

Warum? Darüber kann man nur spekulieren. Haben die politisch Verantwortlichen gemerkt, dass es um Millionen geht, wenn um Spuhlers Abfindung verhandelt werden muss? War der Rauswurf in letzter Sekunde eine Art Geld zu sparen?

Ich habe nachgefragt. Kunstministerin Theresia Bauer ließ mich wissen: Alles privat, alles persönlich – kein Kommentar. Auch auf mein Nachhaken, ob sie das ernst meint, ob das nicht relevant für den Umgang mit Steuergeldern sei, wiederholte sie ihre Botschaft: Kein Kommentar.

Mag sein, dass Spuhler sich falsch verhalten hat. Aber dafür scheint es keine Gesetze zu geben. Karlsruhe ist da nicht anders als die MET in New York: Hier wurde Dirigent James Levine raugeschmissen – ihm wurden noch schlimmere Dinge vorgeworfen: sexuelle Übergriffe an Minderjährigen. Am Ende aber klagte Levine mit Erfolg und bekam eine Millionen-Abfindung.

Auf meine Anfrage beim Theater Karlsruhe gab es durchaus interessante Andeutungen: Es hört sich nicht so an, als hätte Spuhler seinen Rauswurf akzeptiert – weder den ersten noch die Kündigung. Man kann ahnen, dass das ein langwieriges Gerichtsverfahren wird.

Keine juristisch saubere Handhabe

Und noch ein Detail: die fristlose Kündigung ist nur dann legal, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Spuhlers Verhalten war seit Monaten, ja, seit Jahren bekannt. Möglich also, dass sein Rauswurf nun nichts mit seinem Führungs-Verhalten zu tun hat? Vielleicht ist der Grund ein Kavaliersdelikt wie eine Nacht länger auf Staatskosten im Hotel, eine falsche Abrechnung, was auch immer.

Entscheidend ist: die Kulturpolitik – sowohl in der deutschen Provinz als auch im urbanen New York – ist vollkommen aufgeschmissen, wenn es um eine juristisch saubere Handhabe mit problematischem Führungsverhalten geht. Es ist wichtig, dass wir über #metoo debattieren, darüber, wie sich Intendantinnen und Intendanten verhalten sollen, aber all das ist sinnlos, wenn wir nicht rechtskräftige Gremien schaffen, in denen Verstöße festgehalten und auch juristisch sauber geahndet werden können. 

Was jetzt in Karlsruhe passiert, ist eine Farce und zeigt vor allen Dingen die Überforderung unserer Kulturpolitik.  

(16.07.2021/ A. Brüggemann)

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15.07.2021

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