Der Klassik geht der Nachwuchs aus. Doch warum ist das so und was kann dagegen getan werden? Klassikexperte Axel Brüggemann hat sich in seinem neuen Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ damit auseinandergesetzt.
Es ist schon längst kein Geheimnis mehr: Das Publikum in Konzert und Oper wird nicht jünger. Der Nachwuchs fehlt. In seinem neuen Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ nimmt Axel Brüggemann, der „Klassik Radio Live in Concert“ in Wien und Bremen moderieren wird, diese Problematik genau unter die Lupe, forscht nach Ursachen und möglichen Lösungen. Grundlegend träfen bei dem Thema Klassik und Kultur zwei sehr konträre Meinungen aufeinander, erklärt der Klassikexperte: „Da ist zum einen die Generation, die momentan in den Opern- und Konzerthäusern sitzt. Intendantinnen und Intendanten reden oft vom 'grauen Meer' etwas älterer Leute, die ihre Oper als Teil der Selbstverständlichkeit verstehen, als Ruhepool in einer Welt, die im Umbruch ist und die dieses Erbe gerne weitergeben wollen. Auf der anderen Seite ist die letzte Generation, die mit diesem Erbe eigentlich gar nichts mehr anfangen kann. Können wir uns ja mal vorstellen: Was würde Greta Thunberg machen, wenn man ihr sagt: ‘Du kriegst für drei Wochen ein Opernhaus!’ Sie würde sagen: ‘Ich brauch’ das überhaupt nicht. Ich habe die Straße, die Talkshows (…), so bewege ich die Welt. Wir brauchen das Theater gar nicht mehr, um die Welt zu bewegen'. Ich glaube, das ist eine Frage, die wir uns stellen müssen: ‘Wofür brauchen wir die Theater?’ Wollen wir sie als Tapete haben, in der wir etwas Sicherheit spüren, in einer unsicheren Welt. Oder wollen wir in den Theatern und in den Konzertsälen auch unsere Zukunft debattieren. Dann müssen wir sie vielleicht auch ein bisschen neu denken."
Im Debattieren und „Neu-Denken“ sieht der Klassikexperte auch eine Lösung der Klassik-Krise: „Wir müssen in erster Linie wieder einmal eine große Debatte darüber führen: Warum wollen wir eigentlich überhaupt Oper und Konzert? Was gibt uns das? Wir, als Kulturnation, wir leisten uns ganz viele Orchester, ganz viele Theater. Warum machen wir das? Was haben wir davon? Warum wollen wir das weitermachen? Und welche Erwartungen haben wir an Theater und Orchester? Ich glaube, diese Diskussionen müssten wir mal führen und vielleicht auch einige der Institutionen neu denken.“ Daneben beleuchtet Axel Brüggemann aber z.B. auch den zurückgehenden Musikunterricht in deutschen Grundschulen und wie diese mangelnde musikalische Bildung sich in Zukunft auswirken wird. Auch der Nachhaltigkeitsaspekt kommt aufs Tablett: „Viele Orchester machen da ja schon ziemlich viel. Wir sehen, dass Tourneen inzwischen schon ganz oft im Zug stattfinden, auch wenn man dann manchmal zu spät an den Veranstaltungsorten aufkreuzt“, schmunzelt Axel Brüggemann. „Das große Problem der Nachhaltigkeit werden unsere Häuser sein. Die sind alle in den 50er Jahren renoviert oder gebaut worden und da stehen jetzt Investitionen an, die manchmal Milliarden hoch sind. Das sind Investitionen, die auch zu einer öffentlichen Debatte beitragen können. Auch da ist es wichtig, dass wir, weil wir uns ja alle als Kulturnation die Klassik leisten, alle in die Debatte einbezogen werden.“
Und wie sieht es mit neuen Medien wie TikTok und Instagram aus? So mancher junger Klassikstar, wie z.B. auch Esther Abrami, begeistert auf den Social Media Kanälen junge Menschen für Klassik, wird für sein modernes Auftreten aber auch teils kritisiert, es sei zu „oberflächlich“ oder zu „kommerziell“. Ein Standpunkt, den Axel Brüggemann nicht teilt. „Maria Callas z.B. war auch ein Mensch, der vollkommen in den Moden seiner Zeit stand, Enrico Caruso genauso und Luciano Pavarotti. Klassikkünstler waren immer auch Menschen des Boulevards und waren auch Stars und das dürfen Menschen heute auch. Ich glaube, das haben wir heute gar nicht mehr, dass wir sagen: 'Wer modern kommuniziert, der kann nicht klassische Musik spielen!' Das ist eine Schein-Diskussion, die wir gar nicht führen müssen! Was ich aber glaube ist, dass tatsächlich eine moderne Ansprache dazu führen kann, dass man Leute dafür begeistert. So nach dem Motto: Hey, guckt mal, ich bin Dirigent und das ist wahnsinnig viel Arbeit. Wenn ihr einen Augenblick Zeit habt, dann hört euch doch mal eine ganze Symphonie von mir an. Wenn man das schafft, diesen Schritt von Werbung/Lifestyle und Instagram und Tik-Tok-Geschwindigkeit in die große, atmende Welt der klassischen Musik zu schaffen, dann sind auch sofort viele jüngere Menschen dabei." Allerdings müsse man dabei auch differenzieren: „Man kann Oper und Konzert auch nicht nur auf TikTok und Instagram verkürzen. Denn das wirklich Interessante, die wirkliche “Sexiness" eigentlich von klassischer Musik besteht ja darin, dass sie uns diese Größe gibt, dass sie von uns fordert, dass wir auch einmal zwei Stunden das Handy aus haben, Zeit zur Sammlung haben. Also all das, was wir in der technologischen Welt nicht haben. Vielleicht sollten wir auf TikTok und Instagram für die Oper und das Konzert werben, als Möglichkeit, TikTok und Instagram einmal für zwei Stunden auszuschalten."
Ein fast revolutionärer Ansatz. Mehr neue Perspektiven und Einblicke gibt es in Axel Brüggemanns neuem Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ zu entdecken.