Ein Professor, ein Kontrapunkt – und ganz viel Bier: Simon Mack verwandelt Ballermann-Hits in kunstvolle Lieder im Stil von Schubert, Bach oder Schönberg. Was klingt wie ein Scherz, ist in Wahrheit ein cleveres musikalisches Experiment. Denn wenn „Saufen“ zur melancholischen Klavierballade wird, verschwimmen die Grenzen zwischen Trash- und Hochkultur auf erstaunlich ansprechende Weise.
Simon Mack ist Musiktheoretiker, Komponist, Pädagoge – und vielleicht der erste Mensch, der ernsthaft darüber nachgedacht hat, wie „Geh mal Bier holen“ von Schlagerikone Mickie Krause als Kunstlied des 19. Jahrhunderts klingen würde. In einem Video sitzt ein Mann im Frack am Flügel und spielt gefühlvoll ein an die Hochromatik-Kompositionen Schumanns erinnerndes Stück, während Sängerin Theresa Pilsl mit pathosgetränkter Stimme die Zeilen „Du wirst schon wieder hässlich…“ intoniert. Als Zuschauer schüttelt man ungläubig den Kopf - und ist doch ergriffen.
Denn Mack, inzwischen Professor für Musiktheorie und Gehörbildung an der Hochschule für Musik und Theater München, hat sich einer Mission verschrieben: die größten musikalischen „Verbrechen“ der deutschen Feierkultur so ernst zu nehmen, wie es ein Bach mit seinen Passionen getan hätte. Ballermann-Hits à la „Ich schwanke noch“, „Zehn nackte Friseusen“ oder „Hulapalu“ werden von ihm in kunstvolle Arrangements verwandelt – mal im Stil des Barock, mal als romantisches Lied, mal als Dodekaphonie à la Schönberg.
Was als musikalischer Scherz begann, ist inzwischen zu einem echten Renner in der Szene geworden. Mack wird zu Festivals eingeladen, seine Videos gehen viral und werden millionenfach geklickt und auch Medien wie BR Klassik, concerti oder der Deutschlandfunk haben berichtet. Dabei ist Mack keineswegs nur ein Spaßmacher, sondern ein reflektierter Vermittler zwischen musikalischen Welten.
„Ich war fasziniert von der Kombination aus Stumpfsinn, Witz und Selbstreflexion," erklärt er in einem Interview mit concerti.de. Was passiert, ist verblüffend: Plötzlich wird hörbar, wie gut sich die einfachen Melodien der Partysongs in klassische Strukturen einfügen lassen. Die plakativen Texte wirken – in langsamer, melancholischer Vertonung – fast wie existentialistische Lyrik. Und spätestens wenn der Wiesn-Hit „Ein Stern (der deinen Namen trägt)“ als zeitgenössische Klassikkomposition im Stile Olivier Messiaens erklingt, fragt man sich: Ist das noch Parodie? Oder schon Genialität?
Dass ausgerechnet „Saufen“ zur barocken Kantate wird, ist kein Zufall. Der Song hat eine einfache Struktur, einprägsame Melodie, und ein Thema, das sich mit Pathos durchdringen lässt – immerhin ist Trunkenheit seit jeher ein zentrales Thema in der Musikgeschichte, von Schuberts „Trinkliedern“ bis zu Mahlers rauschhaften Sinfonien. Mack nimmt diesen Zusammenhang ernst – und zeigt damit, wie durchlässig die Grenze zwischen U- und E-Musik tatsächlich ist.
Auch wissenschaftlich lässt sich das begründen. Mack, der selbst eine Ausbildung in klassischer Komposition hat, erklärt: „Kunst entsteht nicht durch die Wahl des Materials, sondern durch den Umgang damit.“ Der Malle-Song sei eben nur auf den ersten Blick stumpf – seine Wirkung entfalte er durch seine soziale Funktion, seine Energie, seine kollektive Emotionalität. Und das sind Elemente, die auch in der klassischen Musik tragend sind.
Kritiker sprechen von einer „Demokratisierung der Kunstmusik“, andere von musikalischem Klamauk. Mack selbst bewegt sich elegant zwischen den Fronten. Ihm gehe es nie darum, sich über etwas lustig zu machen, sondern darum, Räume zu öffnen – zum Lachen, aber auch zum Umdenken. Die Performance eines tenoral gesungenen „Hulapalu“ als Schönberg-Zwölftonstück auf einem Liederabend sorgte etwa nicht nur für Lacher, sondern auch für hitzige Diskussionen: Darf man das? Muss man das?
Doch gerade diese Reibung erzeugt Energie. In Workshops mit Studierenden merkt Mack immer wieder: Das Konzept funktioniert. Wer sich bislang nicht für Kunstlied interessiert hat, hört plötzlich begeistert zu, wenn ein Alkoholiker-Refrain von Schubert umarmt wird. Und eingefleischte Klassik-Fans staunen über die melodische Qualität von Hits, die sie bisher nur als dumpfes Gegröle kannten.
Simon Mack ist kein musikalischer Klassenclown. Vielmehr zeigt er, wie intelligent Humor in der Musik sein kann – gerade dort, wo er mit Ernsthaftigkeit flirtet. Seine Werke wurden unter anderem vom Berliner Rundfunkchor, der Deutschen Oper am Rhein und dem Staatstheater Augsburg aufgeführt. 2023 erhielt er den Maria-Ladenburger-Förderpreis für Musik. Auch für Kompositionsaufträge ist er gefragt – zuletzt beim Heidelberger Frühling Liedzentrum.
In seinen Projekten verschwimmen die Grenzen: zwischen Trash und Tiefe, zwischen Parodie und Hommage. Und am Ende bleibt die Erkenntnis: Der Unterschied zwischen „O du mein holder Abendstern“ und „Du hast die Haare schön“ ist vielleicht kleiner, als man denkt – wenn man den richtigen Ton trifft.
Aktuell hebt Mack seine Idee auf eine neue Ebene: Gemeinsam mit dem Librettisten Andreas Hillger bringt er am Staatstheater Augsburg das Singspiel "Exportschlager" auf die Bühne – eine musikalische Revue, in der sich das Ballermann-Erbe mit Opernpathos mischt. Aus Schlagern werden Arien, aus dem Partyhit ein Bühnenstück. Mit diesem Werk testet Mack, wie weit sich das Spiel mit musikalischen Identitäten treiben lässt – im besten Sinne zwischen Unterhaltung und Hinterfragung.
Macks Ballermann-in-Klassik-Transfusion ist nicht nur ein cleverer Gag für Musiknerds. Sie ist auch ein Beitrag zur kulturellen Bildung: Sie macht klassische Musik zugänglich, bricht Berührungsängste auf – und zeigt, dass Musik nicht elitär sein muss, um anspruchsvoll zu sein. Dass auch vermeintlich „dumme“ Musik Respekt verdient, wenn man ihr Gehör schenkt. Und dass Humor ein legitimer Weg ist, um Menschen für große Kunst zu begeistern.
Gerade in einer Zeit, in der sich Klassikhäuser fragen, wie sie ein neues, jüngeres Publikum erreichen können, ist Mack ein leuchtendes Beispiel für kreative Brückenbauer.
Fazit: Simon Mack hat das Unmögliche geschafft: Er bringt Leute zum Lachen – und gleichzeitig zum Nachdenken über das, was wir „gute“ Musik nennen. Sein Projekt ist ein musikalischer Witz mit philosophischem Tiefgang. Ein Konzertabend mit „Klassik trifft Ballermann“ ist kein intellektueller Absturz, sondern ein herrlich kluger Höhenflug. Und wenn man dabei auch noch ein Bier trinken darf – umso besser.