„Barockmusik ist wie eine Schatztruhe“

Klassik Radio im Gespräch mit Milos: „Barockmusik ist wie eine Schatztruhe“

In seinem neuen Album "Baroque" macht der Star-Gitarrist 14 Perlen der Barockmusik für sein Instrument zugänglich und baut eine Brücke ins Heute. 

Milos mit GitarreFoto: Sony Classical

Barock relevant für heutigen Hörer

Den Gedanken, sich der Barockmusik ausführlich zu widmen, hatte Milos schon lange. In seinem neuen Album „Baroque“ hat er nun seinen lang gehegten Wunsch erfüllt. „Ich finde es total faszinierend, wie relevant Barock für den heutigen Hörer ist. Dass etwas, dass vor über 300 Jahren geschrieben wurde, heute noch so viele Gefühle auslösen und Menschen ansprechen kann. Barockmusik ist ein bisschen wie eine Schatztruhe: es ist voll mit kontrastierenden Werken: Licht, Farbe, Lyrisches...es ist alles drin", schwärmt der Musiker voller Begeisterung. Doch wie hat er es geschafft, sich für 14 Werke zu entscheiden? „Ich habe mich von meinem Bauchgefühl leiten lassen (…) Es ging darum, was mich wirklich berührt. Denn das ist die Hauptaufgabe von Musik: zu berühren. Dafür muss man sie noch nicht einmal vollkommen verstehen, es reicht, dass sie berührt. Es ist wie mit einem abstrakten Bild: vielleicht weiß man nicht, was es bedeuten soll, aber es berührt einen. Diese unterbewusste Komponente ist sehr wichtig.“ Dann erst ging es ums Praktische:  „Man arbeitet daran, sortiert aus und entscheidet, was ohne Kompromisse für Gitarre arrangierbar ist.“

Musikalisches Sonnensystem um Bach's Chaconne

Als sich Milos schließlich für die Werke entschieden hatte, die Teil seines neuen Albums sein sollten, kam ihm auf einmal ein Gedanke: „Als ich schließlich diese Perlen des Repertoires gefunden hatte, fühlte ich, als hätte ich all diese freien Radikale, die in der Luft herumschwebten und ich brauche etwas, um sie zu erden und da dachte ich sofort an die Chaconne (Anm. d. Red. Die Chaconne aus Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 in D-Moll). Denn in dem Moment, als ich die Chaconne mit hineinnahm, war es, als hätte ich ein Mini-Solarsystem geschaffen und die Chaconne und Bach sind der Anfang und das Ende und alle diese wunderschönen Werken von verschiedenen Komponisten aus verschiedenen Ländern werden Planeten, die die Sonne umkreisen.“ In diesem Sonnensystem spielt Milos mit Licht und Schatten des Barocks, stellt ruhige musikalische Momente eher lebendigen gegenüber und zeigt so die Diversität des Genres. 

Brücke zwischen Barock und Gegenwart

Dabei sind Barock und Gitarre eine geniale Kombi, betont der Musiker, der als einer der wichtigsten Gitarristen der Gegenwart gilt: „Das Besondere daran, mit der Gitarre dieses Repertoire zu erarbeiten ist, dass die Gitarre ein heutiges Instrument ist und so eine gute Brücke sein kann zwischen Barock und Moderne, Klassik und Mainstream. Ich glaube, es war nie wichtiger als heute, etwas zu finden, dass uns erdet und uns hilft, in dieser emotionalen Sprache mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Und genau das schafft diese Musik.“ 

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Neue Perspektiven

Für die  Orchestertranskriptionen hat Milos teils  Jonathan Cohen und seinem Ensemble „Arcangelo“ zusammen gearbeitet und einige Titel mit ihnen eingespielt.  Diese  Zusammenarbeit bringt den Gitarristen immer noch zum Schwärmen : „Die Kollaboration mit Jonathan und “Arcangelo" war ein Traum. Denn es war eine ganz neue Erfahrung, mit ihnen zu musizieren. Barockmusiker spielen im Studio niemals zwei Mal dasselbe, sie improvisieren immer, es ist immer frei, immer ist etwas ein kleines bisschen anders. Es ist so anders als in meiner Welt, wo ich hart daran arbeiten muss, das alles meinen Stempel hat. Das fühlt sich fast ein bisschen egoistisch an, wenn man mit diesen Musikern arbeitet und es öffnet einen, ein bisschen mehr wie sie zu sein", meint Milos nachdenklich. 

Authentizität ist der Schlüssel 

Bei dem Zusammenspiel hat er sozusagen seine eigene Stimme neu entdeckt, berichtet er: „Als ich an diesen Stücken gearbeitet habe, dachte ich, ich müsste mein Spielen dem Barock angleichen. Doch in der ersten Probe, meinte Jonathan Cohen: 'Aber Milos, ich möchte deine Stimme in der Musik hören! Das war der Moment, der alles änderte. Er gab mir das Vertrauen, dass meine eigene Spielweise total in Ordnung dafür ist. Wir würden zusammen einen ganz neuen Weg finden, der unsere beiden Welten zusammenbrachte.“ Diese Authenzität sei auch essentiell, um das Publikum für Klassik zu begeistern: „Ich glaube, wir hatten nie eine wichtigere Rolle in der Gesellschaft. Wir werden nie Publikum gewinnen, indem wir verzweifelt versuchen, das zu tun, von dem wir denken, dass das Publikum es mag. Wir müssen bei uns, in unserem Inneren, anfangen. Ich denke, wenn wir es schaffen, offen, wahrhaftig und emotional zu kommunizieren, mit der Musik, die uns am Herzen liegt, dann ist es nicht schwer, die Menschen zu begeistern, die einem zuhören.“ Schließlich könne (klassische) Musik eine Art Zufluchtsort in der hektischen Welt sein:  "Gerade heute, beeinflussen uns ständig Nachrichten, Social Media und wirtschaftliche, soziologische und andere Dinge. Es ist, als prassele das ganze ständig auf uns ein und das Gehirn kann gar nicht alles verarbeiten. Die Welt ist gerade in so einer schwierigen Lage und selbst wenn wir nicht selbst direkt betroffen sind, diese Energie ist einfach in der Luft. Die Menschen sehnen danach, zu sich zu finden und nach der Ruhe von klassischen Stücken. Und wir Musiker müssen uns selbst treu sein beim Musizieren, um relevant zu sein. Das geht nur, wenn wir die beste Musik machen, die wir können. Dann wird es nicht schwer sein, Menschen in Konzerte zu bringen." Mit seinem Album „Baroque“ zeigt Milos, wie das funktionieren kann und lässt uns in seinem musikalischen Sonnensystem Ruhe und Inspiration finden. 

Klara Jäger / 27.10.2023

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