Der Virtuose, der Popstar, der Teufelsgeiger: David Garrett feiert seinen 45. Geburtstag. Seine Biografie ist eine beeindruckende Mischung aus Disziplin und Rausch, aus Strenge und Exzess. Wir blicken im Porträt auf einen Getriebenen, einen internationalen Superstar und ein Musiker sich immer wieder neu erfindet.
Die Geschichte des Jungen, der die Welt im Sturm erobern soll, beginnt im beschaulichen Aachen der 1980er Jahre: David Christian Bongartz heißt er damals noch, ein Kind, das nicht spielt, sondern mit beispielloser Disziplin und eisernem Willen den Geigenbogen schwingt, als wolle er den Saiten eine tiefere Wahrheit entlocken. Mit fünf Jahren gewinnt er „Jugend musiziert“, mit neun betritt er beim Kissinger Sommer die Bühne. Die Kritiker reiben sich die Augen, Eltern tuscheln über „das Wunderkind“. Und sein Lehrer Zakhar Bron beschreibt ihn als „geigenbesessen“ („Wenn ihr wüsstet“, David Garret und Leo G. Lindner, Heyne Verlag) – ein Wort, das weniger nach Talent als nach einem Hunger klingt, der seinen ganzen Alltag verschlingt. Und genauso ist es auch.
Der Weg führt ihn früh hinaus, nach Lübeck, nach London, wo er ein Stipendium am Royal College annimmt und rasch wieder bricht, und schließlich nach New York. Dort, an der Juilliard School, unterrichtet ihn Itzhak Perlman, eine Legende der Violine. Doch die Metropole ist für Garrett nicht nur künstlerischer Aufbruch, sondern auch Abgrund. Das Geld ist knapp, er arbeitet als Model, posiert in Unterwäsche für Kaufhauskataloge, um die Miete zu zahlen. Die Geige bleibt, neben aller Not, sein einziger Reichtum.
Später, als er längst Stadien füllt, spricht er von jener Zeit als Kontrastfolie. Der Aufstieg danach gleicht einem Taumel: „Rock Symphonies“ stürmen die Charts, seine Alben verkaufen sich millionenfach, ein Guinness-Rekord für den schnellsten „Hummelflug“ macht Schlagzeilen. Der Junge aus Aachen verwandelt sich in den „Teufelsgeiger“, der Paganini spielt wie ein Rockstar. In Interviews klingt das nicht nur nach Stolz, sondern auch nach Distanz. „Das war schon ein ziemlicher Ego-Trip“, sagt er rückblickend dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, und man spürt: Er weiß, wie dünn das Eis war, auf dem er sich da bewegte.
Wenn er heute die Bühne betritt, oft mit der Stradivari „ex Busch“ von 1716 in der Hand, die rund zehn Millionen Euro wert ist, geht ein Raunen durch den Saal. Er hebt den Bogen, zögert einen Moment, als lausche er selbst, und dann beginnt ein Ton, klar und zugleich wild, ein Klang, der aus Jahrhunderten kommt und doch so modern wirkt, dass er neben Metallica oder Coldplay bestehen kann. In solchen Augenblicken verschmilzt Garrett mit dem Instrument, als sei die Geige ein Spiegel seiner selbst.
Er hat Kritiker, die ihm „Gefälligkeit“ vorwerfen, und ein Publikum, das ihn feiert. Auf die Frage nach Work-Life-Balance reagiert er mit einem knappen Satz: „Wer eine große Karriere will, muss dafür bluten“ (Abendblatt, 14.5.2024). Da klingt nicht der Glamour des Popstars, sondern dem eisernen Willen des Musikers, der weiß, wie hoch der Preis für den Erfolg ist.
Jetzt, mit 45, wagt er wieder etwas Neues: „Millennium Symphony“ heißt sein jüngstes Projekt, eine orchestrale Umdeutung von Hits der 2000er-Jahre, mit denen er seit dem Frühjahr 2025 durch die größten Hallen der Welt tourt. Es ist ein weiterer Grenzgang, ein Spiel mit den Erwartungen und ein Versuch, die Energie der Gegenwart in die Sprache des Orchesters zu übersetzen.
In Fulda, auf dem Domplatz, standen zuletzt über fünftausend Menschen, dicht gedrängt, und jubelten ihm zu, als er zwischen Pop und Paganini wechselte. Es war ein Rausch, ein Fest, ein Beweis dafür, dass seine Musik Räume zu öffnen vermag, die so vielen sonst verschlossen bleiben.
Und irgendwo zwischen Aachen, New York und Berlin, zwischen Stradivari und Stadion, bleibt er der, der er mit vier Jahren war: ein Junge mit einer Geige, getrieben von einem unstillbaren Anspruch und rauschhafter Energie.
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