Eine Geige, in die man bläst anstatt sie nur zu streichen? In Eisenach steht ein Instrument, das die Gesetze der Musik sprengt: halb Streich-, halb Blasinstrument – und ganz großes Barocktheater. Ein klangliches Kuriosum, das selbst Johann Sebastian Bach gekannt haben könnte.
Sie sieht aus wie eine ganz normale Geige: Vier Saiten, eleganter Korpus, zierliche Schnecke. Aber wer ganz genau hinschaut, entdeckt ein Mundstück – und wer dann auch noch genau hinhört, bekommt mehr als Geigensound: Denn diese Geige hat eine eingebaute Naturtrompete.
Hörbeispiel 1 (Uwe Fischer, Bachhaus Eisenach)
„Das Mundstück ist oben an der Schnecke befestigt. Im Inneren der Geige verläuft das Trompetenrohr mit 2,27m Länge, gewunden wie eine Brezel, perfekt angepasst an den Korpus der Geige“, erklärt Uwe Fischer, langjähriger Kustos des Bachhauses in Eisenach. Dort steht sie, diese kuriose Hybridkonstruktion aus dem Barock, die man offiziell als „Violine mit eingebauter Naturtrompete“ führt aber auch einfach nur unter dem schlichten Namen „Trompetengeige“ bekannt ist.
Warum es dieses Instrument überhaupt gibt? Darüber kann man bis heute nur spekulieren. „Wir gehen davon aus, dass es beim Konzert als Überraschungsmoment diente“, sagt Fischer im Interview mit Klassik Radio Redakteurin Valeska Baader. „Der Geiger beginnt das Konzert und plötzlich dreht er das Instrument, bläst in die Trompete hinein – und überrascht damit das Publikum.“
„Oder es waren zwei Musiker, die sich eine Geige teilten: einer streicht, der andere bläst“, wie er weiter erzählt. Dazu kommen andere Thesen: Es könnte als Übungsinstrument für junge Musik gedient haben, die neben dem Trompetenspiel auch noch das Geigenspiel lernen mussten. Oder es war ein pragmatisches Tool für Stadtmusikanten, um ohne große Umrüstaktion zwischen Melodieinstrument und Fanfarenton zu wechseln, ohne dabei immer einen professionellen Trompeter engagieren zu müssen.
„Die Geige selbst ist vielleicht 30 oder 40 Jahre älter, aber die Trompete wurde 1717 eingebaut“, erzählt Fischer. Das passt zur Zeit Bachs, der damals Hofkapellmeister in Köthen war. Ein direkter Bezug? Unklar. Aber auch kein Widerspruch: „Im Instrumentenbestand der Köthener Hofkapelle gab es damals Violinen mit eingebauter Trompete.“ Es ist zwar unklar, ob Bach diese gespielt hat, aber er kannte das Instrument jedenfalls.
Und ein wenig Fantasie darf man sich bei so einem Instrument durchaus erlauben. Kustos Uwe Fischer sagt augenzwinkernd: „Scherzhaft könnte man annehmen, beim zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach spart man sich einen Musiker – weil dann der Geiger zugleich auf seinem Instrument auch das Trompetensolo übernimmt.“ Ob das historisch so passiert ist? Das kann niemand sagen. Aber es passt durchaus zu diesem kuriosen Instrumentenmix.
Und wie klingt so eine Trompetengeige? „Die Trompete klingt vielleicht ein bisschen gedeckter, ein bisschen leiser als eine herkömmliche Naturtrompete aus dieser Zeit. Und auch die Geige ist kein Konzertmeister-Instrument – aber beide lassen sich vollständig spielen."
Dabei bringt das Instrument rund ein Kilo mehr Gewicht mit als eine herkömmliche Geige. Gespielt wurde es im Museum bis 1967: „Damals hat unser Kustos es gelegentlich für Gäste gespielt, als Rausschmeißer zum Abschied“, erzählt Fischer. Bis es dann wortwörtlich zu viel Spucke war: Kondenswasser beschädigte die Holzsubstanz, Schimmel zog ein. Das Instrument wurde restauriert, versiegelt, und ist heute fester Bestandteil der Ausstellung – samt Röntgenbild neben der Vitrine, das zeigt: Hier steckt mehr drin als man denkt. Wer den Sound aber live hören will, bekommt auch das noch: 2016 ließ das Museum eine Replik anfertigen. Die wird in Führungen erklärt, manchmal auch vorgeführt.
Hörbeispiel 2 (Uwe Fischer, Bachhaus Eisenach)
Heute ist die Trompetengeige vor allem eins: Ein Instrument gewordener Schalk, ein Stück Musikaliengeschichte mit Augenzwinkern und der Beweis, dass Innovation manchmal einfach darin besteht, zwei Welten miteinander zu verschmelzen – mit viel Blech, viel Holz und noch mehr Fantasie.
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