Identitätskrise mit Mundstück: Wenn die Geige plötzlich Trompete spielt

Identitätskrise mit Mundstück: Wenn die Geige plötzlich Trompete spielt

Eine Geige, in die man auch reinblasen kann anstatt sie nur zu streichen? In Eisenach steht ein Instrument, das die Gesetze der Musik sprengt: halb Streich-, halb Blasinstrument – und ganz großes Barocktheater. Ein klangliches Kuriosum, das selbst Johann Sebastian Bach gekannt haben könnte.

Trompetengeige BildFoto: Bachhaus Eisenach

Sie sieht aus wie eine ganz normale Geige: Vier Saiten, eleganter Korpus, zierliche Schnecke. Aber wer ganz genau hinschaut, entdeckt ein Mundstück – und wer dann auch noch genau hinhört, bekommt mehr als Geigensound: Denn diese Geige hat eine eingebaute Naturtrompete.

Trompetengeige

Hörbeispiel 1 (Uwe Fischer, Bachhaus Eisenach)

„Das Mundstück ist oben an der Schnecke befestigt. Im Inneren der Geige verläuft das Trompetenrohr mit 2,27m Länge, gewunden wie eine Brezel, perfekt angepasst an den Korpus der Geige“, erklärt Uwe Fischer, langjähriger Kustos des Bachhauses in Eisenach. Dort steht sie, diese kuriose Hybridkonstruktion aus dem Barock, die man offiziell als „Violine mit eingebauter Naturtrompete“ führt aber auch einfach nur unter dem schlichten Namen „Trompetengeige“ bekannt ist.

Trompetengeige Röntgen
Foto: André Nestler / Bachhaus Eisenach

Scherz oder Showeffekt?

Warum es dieses Instrument überhaupt gibt? Darüber kann man bis heute nur spekulieren. „Wir gehen davon aus, dass es beim Konzert als Überraschungsmoment diente“, sagt Fischer im Interview mit Klassik Radio Redakteurin Valeska Baader. „Der Geiger beginnt das Konzert und plötzlich dreht er das Instrument, bläst in die Trompete hinein – und überrascht damit das Publikum.“

„Oder es waren zwei Musiker, die sich eine Geige teilten: einer streicht, der andere bläst“, wie er weiter erzählt. Dazu kommen andere Thesen: Es könnte als Übungsinstrument für junge Musiker gedient haben, die neben dem Trompetenspiel auch noch das Geigenspiel lernen mussten. Oder es war ein pragmatisches Tool für Stadtmusikanten, um ohne große Umrüstaktion zwischen Melodieinstrument und Fanfarenton zu wechseln, ohne dabei immer einen professionellen Trompeter engagieren zu müssen.

War die Trompetengeige Bachs geheime Super-Geige?

„Die Geige selbst ist vielleicht 30 oder 40 Jahre älter, aber die Trompete wurde 1717 eingebaut“, erzählt Fischer. Das passt zur Zeit Bachs, der damals Hofkapellmeister in Köthen war. Ein direkter Bezug? Unklar. Aber auch kein Widerspruch: „Im Instrumentenbestand der Köthener Hofkapelle gab es damals Violinen mit eingebauter Trompete.“ Es ist zwar unklar, ob Bach diese gespielt hat, aber er kannte das Instrument jedenfalls.

Und ein wenig Fantasie darf man sich bei so einem Instrument durchaus erlauben. Kustos Uwe Fischer sagt augenzwinkernd: „Scherzhaft könnte man annehmen, beim zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach spart man sich einen Musiker – weil dann der Geiger zugleich auf seinem Instrument auch das Trompetensolo übernimmt.“ Ob das historisch so passiert ist? Das kann niemand sagen. Aber es passt durchaus zu diesem kuriosen Instrumentenmix.

Ein Kilo schwerer, ein bisschen leiser

Und wie klingt so eine Trompetengeige? „Die Trompete klingt vielleicht ein bisschen gedeckter, ein bisschen leiser als eine herkömmliche Naturtrompete aus dieser Zeit. Und auch die Geige ist kein Konzertmeister-Instrument – aber beide lassen sich vollständig spielen."

Dabei bringt das Instrument rund ein Kilo mehr Gewicht mit als eine herkömmliche Geige. Gespielt wurde es im Museum bis 1967: „Damals hat unser Kustos es gelegentlich für Gäste gespielt, als Rausschmeißer zum Abschied“, erzählt Fischer. Bis es dann wortwörtlich zu viel Spucke war: Kondenswasser beschädigte die Holzsubstanz, Schimmel zog ein. Das Instrument wurde restauriert, versiegelt, und ist heute fester Bestandteil der Ausstellung – samt Röntgenbild neben der Vitrine, das zeigt: Hier steckt mehr drin als man denkt. Wer den Sound aber live hören will, bekommt auch das noch: 2016 ließ das Museum eine Replik anfertigen. Die wird in Führungen erklärt, manchmal auch vorgeführt.

Trompetengeige vor Publikum
Foto: Bachhaus Eisenach
Trompetengeige

Hörbeispiel 2 (Uwe Fischer, Bachhaus Eisenach)

Heute ist die Trompetengeige vor allem eins: Ein Instrument gewordener Schalk, ein Stück Musikaliengeschichte mit Augenzwinkern und der Beweis, dass Innovation manchmal einfach darin besteht, zwei Welten miteinander zu verschmelzen – mit viel Blech, viel Holz und noch mehr Fantasie.

Den besten Musikmix gibt es für Sie auf Klassik Radio Plus - zum Beispiel in unserem Sender "Gute Laune Klassik". Hören Sie gerne einfach mal rein:

Valeska Baader / 10.08.2025

Erhalten Sie Informationen aus erster HandBestellen Sie den Klassik Radio Newsletter

* Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis

Neueste Artikel

Hits, Herzklopfen und Weihnachtszauber: Bachs Oratorium begeistert seit 300 Jahren
Johann Sebastian Bach, Gemälde von Gebel

Hits, Herzklopfen und Weihnachtszauber: Bachs Oratorium begeistert seit 300 Jahren

Weihnachten ohne Musik von Bach? Kaum vorstellbar. Doch das Weihnachtsoratorium ist viel mehr als alte Kirchenmusik: ein clever komponiertes Meisterwerk, voller großer Gefühle, überraschender Momente – und ein echter Hit seiner Zeit. Erfahrt in diesem Artikel, wie Bach Geschichten erzählte, Melodien recycelte und ein Werk schuf, das bis heute verzaubert.

Vom Biedermeier zur großen Bühnenkunst - Wie „Hänsel und Gretel“ zur Weihnachtsoper wurde
Hänsel und Gretel Comicversion

Vom Biedermeier zur großen Bühnenkunst - Wie „Hänsel und Gretel“ zur Weihnachtsoper wurde

Bevor Engelbert Humperdinck Hänsel und Gretel zur berühmtesten Märchenoper der Musikgeschichte machte, war der Stoff bereits auf deutschen Bühnen zu Hause. Doch erst seine Version verwandelte das Grimmsche Märchen in ein Werk von zeitloser Tiefe. Warum gerade diese Oper überlebte, was sich über die Jahrzehnte verändert hat und wie Humperdinck sich sein Werk selbst dachte – ein Blick hinter die Kulissen und zu hören am 4. Advent bei Klassik Radio.

Neue Serie "MOZART/MOZART" zeigt die unbekannte Seite der Wunderkind-Geschichte
Frau im roten Kleid sitzt auf einem goldenen Flügel in prunkvollem Saal, Schriftzug "Mozart" im Hintergrund

Neue Serie "MOZART/MOZART" zeigt die unbekannte Seite der Wunderkind-Geschichte

Die neue ARD-Serie "MOZART/MOZART" erzählt die bekannte Geschichte der Mozarts noch einmal. Nur anders: Denn dieses Mal steht nicht Wolfgang Amadeus im Mittelpunkt, sondern die Frau, deren Talent sich hinter seinem Namen verstecken musste: Maria Anna Mozart, besser bekannt als Wolfgang Amadeus Schwester „Nannerl“.

Klassik Radio - Deutschland nationalKlassik Radio - Deutschland national