Offener Brief an Kulturstaatsministerin

"Am Lagerfeuer der Kultur erwärmen!" Offener Brief an Kulturstaatsministerin

Die Energiekosten steigen und der Appell lautet: Sparen! Doch bitte nicht in den Theatersälen - meint Intendant Thorsten Weckherlin.

Offener Brief an Kulturstaatsministerin Foto: Metbarbar_c_Wikimedia Commons

Kulturgenuss bei gedimmten Temperaturen?

Er hat Kulturstaatsminsterin Claudia Roth deshalb einen Brief geschrieben und appelliert, dass die Theater warm bleiben. Wir haben ihn gefragt, warum das seiner Meinung nach so wichtig ist: "Ich sagte, dass diese aktuelle Kulturmüdigkeit uns zwar ratlos macht, aber nicht fantasielos machen sollte. Wir sind in der Tat ja in so einem Dilemma: ich glaube, dass wir die Gegenwart noch nicht richtig verarbeitet haben, also diese Schocks z.B. durch Krieg und Pandemie, die  bestehen noch fort. Das hat uns auch verunsichert im Umgang mit der Kultur. Wenn ich jetzt noch anfange, im Winter, dass die Leute bei uns frieren oder bei gedimmten Licht und reduzierten Temperaturen unsere Kultur aufnehmen sollen, das finde ich nicht so gut."

Der Zuschauer, der ins Theater kommt, weiß manchmal gar nicht, ob die Vorstellung überhaupt stattfindet. Diese Unverbindlichkeit nervt mich (....). Doch bei einer Sache sollten wir verbindlich bleiben: man soll sich wohlfühlen bei uns im Theater.
Thorsten Weckherlin, Intendant des Landestheaters Tübingen

Unverbindlichkeit seit Pandemie

Gerade weil die Ereignisse noch immer ihre Spuren hinterlassen: "Wir sind durch die Pandemie unverbindlich geworden. Der Zuschauer, der ins Theater kommt, weiß manchmal gar nicht, ob die Vorstellung stattfindet oder ob eine Schauspielerin erkrankt ist und in Quarantäne. Diese Unverbindlichkeit nervt mich wahnsinnig. Doch bei einer Sache sollten wir verbindlich bleiben: man soll sich wohlfühlen bei uns im Theater."

LED-Lichter machen Beheizung notwendig

Hinzu käme, dass in der Vergangenheit Maßnahmen durchgeführt wurden, die zwar Energie einsparen, doch gerade in der jetztigen Situation Nachteile mit sich brächten. So z.B. die neuen Klimaeinlagen, die pandemiebedingt für eine bessere Belüftung sorgen sollten, nun aber regelrechte Energiefresser sind. Und LED-Lampen sind zwar effizient, aber werden eben auch nicht warm:

"Das bedeutet im Winter: ich muss neuerdings viel mehr heizen. Denn die Scheinwerfer davor hatten 500.000kW, die haben so viel Energie und Wärme ausgestrahlt, dass ich den Zuschauerraum nicht beheizen brauchte. Jetzt muss ich ihn beheizen, weil ich seit Jahren schon auf diese kostengünstigen, sparsamen Beleuchtungsmittel umgestellt habe. In diesem Paradoxin leben wir", fasst Weckherlin zusammen.

Wir, die Mitarbeiter, 138 Leute, die hier arbeiten, wir akzeptieren, dass wir sparen müssen. Aber das Theaterpublikum soll sich wohlfühlen.
Thorsten Weckherlin, Intendant des Landestheaters Tübingen

Heizung aus in den Büros

Trotzdem: damit es die Zuschauer auch in Zukunft warm haben, sind das Theater und seine Mitarbeiter bereit, an anderer Stelle einzusparen:  "Wir sparen hier im Haus. Die große Energie geht ja auch in die ganzen Büroräume, in die Werkstätten. Wir haben alles isoliert, unser Haus ist energetisch gut aufgestellt, wir haben Photovoltaik-Flächen auf dem Dach und haben die Temperaturen reduziert. Ich sitze hier bei 18 Grad und würde auch gerne die Heizung aufdrehen und mache es nicht. Wir, die Mitarbeiter, 138 Leute, die hier arbeiten, wir akzeptieren, dass wir sparen müssen. Aber das Theaterpublikum soll sich wohlfühlen."

Szenen des Theaters aus wärmeren Tagen:

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Wärmen am Lagerfeuer der Kultur

Schließlich wären die Menschen schon bereit, zu sparen und zu Hause den Wollpullover anzuziehen. "Dann sollen sie wenigstens, als kleines Dankeschön, bei uns im Theatersaal nicht frieren müssen und es warm haben. Wir sollten uns sprichwörtlich am Lagerfeuer der Kultur erwärmen", fasst Weckherlin zusammen.

Antwort von Claudia Roth steht noch aus

Noch hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth nicht geantwortet. Doch, wenn sie es tut, rechnet Thorsten Weckherlin mit einer humorigen Nachricht: "Man darf nicht vergessen, Frau Roth ist auch im Theater großgeworden, mit Hospitanzen, Praktika und Regieassistenzen. Gerade auch hier, im Baden-Württembergischen. Sie weiß ja, wie Theater funktioniert. Sie wird mit einem Schmunzeln sagen: 'Ja, eigentlich hat er Recht, der Weckherlin, aber wir müssen eben alle sparen."

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