Wie die Zerstörung der Regenwälder die Zukunft der Geige bedroht

Wie die Zerstörung der Regenwälder die Zukunft der Geige bedroht

Über Jahrhunderte war Fernambuk das ideale Holz für den perfekten Bogenbau – doch die Bestände schrumpfen dramatisch. Was zunächst wie ein Problem der Forstwirtschaft wirkte, bedroht heute ein traditionsreiches Handwerk und die Zukunft hochwertiger Streichbögen. Lesen Sie, wie es so weit kommen konnte, welche Alternativen entstehen und warum diese Entwicklung jeden Musikliebhaber betrifft.

GeigenbogenFoto: photoschmidt/stock.adobe.com

Über zwei Jahrhunderte lang galt "Paubrasilia echinata", besser bekannt als Fernambuk, als das Herz des modernen Bogenbaus. Seit François-Xavier Tourte im späten 18. Jahrhundert die besonderen Eigenschaften dieses Holzes nutzbar machte, bestimmte es, wie sich Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe spielen und wie ihre Musik klingt. Tourte entdeckte in diesem Holz eine seltene Kombination aus Dichte, Elastizität und Stabilität. 

Das Holz erwies sich als außergewöhnlich: Es ließ sich unter Hitze biegen („Cambering“), hielt die geschwungene Form dauerhaft — und ermöglichte einen Bogen mit gleichmäßiger Spannung der Pferdehaare, kontrollierter Ansprache und natürlicher Elastizität beim Spielen. Klanglich war der Pernambuco-Bogen über Jahrzehnte hinweg nahezu unschlagbar: feinfühlig im Anschlag, agil, dynamisch — perfekt für die Anforderungen virtuoser Geiger und stilistisch anspruchsvoller Musik.

Regenwald Baum
Foto: Baregroup Agency/stock.adobe.com
Bedrohte Art: Paubrasilia echinata

Die Wurzeln des Problems

Fernambuk wächst ausschließlich in der tropischen Küstenregion des brasilianischen Regenwaldes, der Mata Atlântica. Doch seit Jahrhunderten fällt dieser Wald Menschen zum Opfer – für Holz, Landwirtschaft, Infrastruktur. Heute existieren laut Schätzungen nur noch rund 5 bis 7 Prozent der ursprünglichen Fläche. 

Dass das besondere Holz eines Tages knapp werden könnte, war absehbar, jedoch kamen die Konsequenzen erst langsam ins allgemeine Bewusstsein. 1992 wurde der Baum auf die brasilianische Liste bedrohter Arten gesetzt, 2007 folgte die Aufnahme in das internationale Artenschutzabkommen CITES. Damit war der Handel mit neu geschlagenem Holz offiziell reglementiert: Für Bogenbauer bedeutete das, dass sie nur noch auf Altbestände zugreifen durften. 

Über Jahrzehnte war der Vorrat an nutzbarem Holz groß genug — doch diese Reserven schwinden jetzt. Der Aufwand, aus alten Stämmen brauchbares Bogenholz zu gewinnen, ist immens. Nach Angaben von Wissenschaftlern werden deutlich mehr Holz und Energie aufgewendet, als letztlich nutzbare Bogenstangen herauskommen.



Eine Krise für Musikhandwerk und Musiker

Was zunächst nur wie ein Problem für den Holzhandel aussah, wird inzwischen zur Bedrohung für das alte Handwerk des Bogenbaus. Denn wenn der Vorrat aufgebraucht ist und kein neues Fernambuk legal verfügbar ist, stehen viele Werkstätten vor dem Aus — und damit eine ganze handwerkliche Tradition. 

Für Musiker bedeutet das: Die Herstellung neuer „Premium“-Bögen könnte bald unmöglich sein. Der Preis für bestehende Fernambuk-Bögen wird steigen, und der Markt für Bögen insgesamt wird sich verändern. Einige befürchten sogar, der klassische Klang idealer Holz-Bögen könnte verloren gehen, oder zumindest für viele unerschwinglich werden. 

Zudem: Die bloße Existenz eines guten Instruments reicht nicht. Ohne den passenden Bogen bleibt der volle Ausdruck der Geige oftmals unerreicht. Insofern betrifft der Rückgang von Fernambuk-Holz direkt das, was Hörer und Musiker an Musik lieben: Klang, Ausdruck, Emotion.

Instrumentenbauer fertigt einen Geigenbogen
Foto: photoschmidt/stock.adobe.com
Handwerk in der Krise: Instrumentenbauer bei Präzisionsarbeit am Geigenbogen

Nachhaltigkeit, Innovation und Zuversicht

Doch trotz der düsteren Perspektive wächst zugleich die Hoffnung. Seit Jahrzehnten existiert die International Pernambuco Conservation Initiative (IPCI), die sich weltweit für die Erhaltung und Wiederaufforstung von Pernambuco einsetzt. Sie haben schon Hunderttausende Bäume neu gepflanzt — mit dem Ziel, langfristig nachhaltige Bestände für spätere Generationen aufzubauen. Parallel dazu suchen Bogenbauer nach Alternativen.

Natürliche Hölzer, etwa bestimmte Akazien-Arten, werden bereits experimentell verwendet. Sie bieten gute mechanische Eigenschaften, wenn auch nicht exakt die gleiche Klangqualität wie Fernambuk. Eine neue und inzwischen etablierte Alternative sind ausserderm synthetischen Materialien: Carbon-Faser-Bögen gelten als besonders stabil, langlebig — und sie belasten keine bedrohten Wälder. Zwar vermissen manche Musiker noch die Feinheiten eines Holzbogens, doch für viele sind Carbon-Bögen eine realistische, nachhaltige und preislich faire Alternative. 

Diese neuen Wege sind kein Zeichen für Aufgabe, sondern für Anpassung. Für eine Musiktradition, die sorgfältig bewahrt wird, ohne die Welt dabei auszubluten.


Klassik Radio Shop TV SprachverstärkerFoto: Klassik Radio AG

Warum uns das alle angeht

Die Krise um das Fernambuk-Holz zeigt: Musik und Umwelt stehen nicht getrennt, sie sind verbunden. Wenn wir wollen, dass Geige, Cello und Bratsche uns weiterhin mit ihrem Klang verzaubern, dann müssen wir Verantwortung übernehmen: für die Natur, für die Tradition, für kommende Generationen.

Aber all das ist kein Grund zu resignieren: Wo ein Problem erkannt ist, entstehen Alternativen. Neue Bögen aus nachhaltigem Holz, Carbon-Varianten, Wiederaufforstungen – all das zeigt: Der Weg in eine verantwortungsvolle Zukunft ist möglich. Vielleicht klingt die Geige der nächsten Generation etwas anders, aber sie wird spielen: Für alle, die Musik lieben, hören und leben. Nicht weniger Musik, sondern bewussteres Musizieren mit Respekt vor Natur und Handwerk. Und mit dem Wissen: Wir haben die Wahl.

Holger Hermannsen / 26.11.2025

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