"Ich habe bisher ein irrsinniges Leben gehabt!"

Klassik Radio im Gespräch mit Lars Vogt"Ich habe bisher ein irrsinniges Leben gehabt!"

Pianist Lars Vogt schrieb am 25. März auf Twitter: »Today: fight against cancer, round 2 (chemo). Keep your fingers crossed for me…«

"Ich habe bisher ein irrsinniges Leben gehabt!"Foto: Giorgia Bertazzi

Anfang des Jahres erfuhr Pianist Lars Vogt von seiner Krebserkrankung, im März machte er es öffentlich. Aktuell befindet er sich noch in Behandlung, hat aber trotzdem Anfang dieser Woche Holger Wemhoff ein Interview gegeben. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren und es war ein offenes und bewegendes Gespräch.

Zwischen den Chemos

Vor mehr als 30 Jahren machte Lars Vogt als Pianist Karriere. Mittlerweile gehört er zu den bekanntesten und besten Pianisten seiner Generation. Anfang des Jahres dann die Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Im Gespräch mit Holger Wemhoff sagte er, es gehe ihm momentan soweit gut. Kräftemäßig sei es natürlich nicht mehr so wie früher und er sei auch nicht so belastbar. „Aber zum Ende der zwei Wochen, die zwischen den Chemotherapien liegen, geht es mir meist recht gut." Er kann seine Chemotherapien nun ambulant durchführen, was ihm mehr Freiheiten gebe.

Das komplette Gespräch zwischen Holger Wemhoff und Lars Vogt

Die Diagnose

„Im ersten Moment kann man das nicht fassen, wenn man das so gesagt bekommt. Dieser Satz: Dieser Tumor wird letztlich lebensbegrenzend sein - was auch immer das heißen mag - das sitzt erst mal tief“, berichtet uns Vogt. Lange dachte Vogt, er habe Magenprobleme, da er zu dem Zeitpunkt der Diagnose Medikamente nahm. Auf Anraten seines Schwagers, ging er ins Krankenhaus und dort wurde dann ein Tumor in der Leber festgestellt, der wohl sehr schnell gewachsen war. Ein halbes Jahr ist nun vergangen, seitdem gab es natürlich auch Momente, in denen sich alle weinend in den Armen lagen, aber Vogt hat auch eine gute Methode gefunden, um sich abzulenken und Boden unter den Füßen zu bekommen: organisieren. „Es war für mich sehr wichtig zu wissen, es ist selbst im schlimmsten Falle alles vorgesorgt. Das hat mir Stütze gegeben; sich auch darauf einzustellen, es könnte vorbei sein aber das dann so gut wie möglich vorzubereiten. Dabei ist mir aber auch klar geworden: selbst, wenn es jetzt bald vorbei wäre, könnte ich nur den Hut ziehen vor einem eventuellen Schöpfer, und mich tief bedanken. Ich habe ja ein irrsinniges Leben bisher gehabt!“

"Wenn es jetzt bald vorbei wäre, könnte ich nur den Hut ziehen vor einem eventuellen Schöpfer, und mich tief bedanken. Ich habe ja ein irrsinniges Leben bisher gehabt!“
Lars Vogt

Positive Zwischenbilanz

Es gibt gute Nachrichten, denn die Zwischenuntersuchung ist sehr positiv ausgefallen. Es konnte eine Verbesserung diagnostiziert werden und der große Hoffnungsträger sei bei ihm jetzt ein bestimmtes Medikament, das sehr gut anschlage. „Jetzt macht man schon längerfristige Pläne, auch mit der Medikation (…) da die akute Bedrohung jetzt erst mal weg ist“, so Vogt. Er müsse aber damit leben, dass keiner eine wirkliche Prognose geben könne, wie lange das jetzt gut gehe. Ob 3 Jahre, 5 oder 15? Und er wurde eindringlich gewarnt, sich keine Statistiken anzuschauen, sagte er mit einem Lachen. Anfangs sei er aber aus Versehen auf einer Webseite gelandet, denn: er wollte seinen englischsprachigen Freunden von seiner Diagnose berichten, gab den Begriff Speiseröhrenkrebs ein, um ihn sich übersetzten zu lassen und landete auf einer Seite, die Menschen mit einer solchen Diagnose eine sehr geringe Überlebenschance einräumte. „Das hat mich natürlich sehr erschüttert. Aber die Ärzte sagen, dass die Varianz so stark ist, je nachdem, wie der Körper ist, und wie der Mensch lebt.“

Lars Vogt und das Orchestre de chambre - Schumanns Sinfonie Nr. 2

Ein liebendes Umfeld

„Von Anfang an war es mir ein Bedürfnis, mit der Krankheit komplett offen umzugehen. (…) Sie gehört jetzt eben zu meinem Leben dazu“, so Vogt. Für ihn war es wichtig, diese Offenheit auch beizubehalten und berichtet, dass er sogar eine Whats App Gruppe mit Freunden und Familie gegründet hat. „Es kann belastend sein, wenn man seine Krankheitsgeschichte ständig neu erzählt!“ Aber Vogt ist froh um die vielen Nachrichten, denn er erfährt so viel Unterstützung und Herzlichkeit von allen Seiten. Musikern, alten Schulfreunden und natürlich seiner Familie, wie er uns sagte.

„Von Anfang an war es mir ein Bedürfnis, mit der Krankheit komplett offen umzugehen. (…) Sie gehört jetzt eben zu meinem Leben dazu“
Lars Vogt

Pläne für die Zukunft

Seit dem 1. Juli 2020 ist Lars Vogt Directeur Musical des Orchestre de chambre de Paris und war zwischen zwei Chemo-Therapien für 6-stündige Aufnahme-Sessions mit dem Orchester in Frankreich. Natürlich war es anstrengend, aber Vogt sagt, dass das eine „Seelenangelegenheit“ war und für ihn so wichtig, mit dem Orchester zu spielen und auch deren Unterstützung zu spüren. „Das hat uns auch nochmal zusammengeschweißt“, meint Vogt. Und es ist geplant im Herbst ein großes Mendelssohn-Konzert aufzunehmen, bei dem Vogt spielen und dirigieren wird und für das nächste Jahr steht dann ein großes Open-Air-Konzert in der Philharmonie in Paris an. Und auch das Kammermusikfest „Spannungen“, das Lars Vogt 1998 gegründet hat, wird stattfinden. Zwar nicht vor Publikum, aber alle Konzerte werden gratis im Internet gestreamt. Das ist eine der großen Perspektiven für den Sommer und es wird auch Konzerte in Frankreich geben, wenn es die Gesundheit zulässt, bestätigt uns Vogt.

Lars Vogt spielt Brahms op. 117

Die Musik als Konstante

Auch während der stationären Therapien hat Vogt weiterhin Klavier gespielt. Auf der Krebsstation stand ein Klavier, welches er benutzen durfte. Am liebsten spielte er die Goldbergvariationen von Bach oder die Musik von Brahms. „Musik besitzt die ganze Bandbreite aller Emotionen. Aber gerade Brahms, der so viel Dunkles auch kennt, der eben auch der Spezialist der Wiegenlieder ist… ganz einfacher, tröstlicher Wiegenlieder aus der Sicht eines Erwachsenen. (…) Gerade das tröstliche ist etwas ganz Besonderes.“ Ob sich die Krankheit auch auf sein Klavierspiel auswirken könne? „Die große Sorge ist, dass die Finger ihre Empfindlichkeit verlieren. Diese Nebenwirkung ist leider nicht selten“, so Vogt. Aber natürlich ist es im Moment wichtiger, die Tumore zu kontrollieren. Und Vogt sagt auch: „So lieb mir das Klavier spielen ist, leben ist mir noch wichtiger. Tot sein und gut Klavier spielen können, das hilft nicht so viel“, sagt Vogt und lacht dabei, fügt aber hinzu: „Natürlich ist klar: selbst wenn das (Klavierspielen) verloren geht… es gibt so viele tolle Dinge, die bleiben.“ Zudem ist das Dirigieren inzwischen auch eine seiner großen Leidenschaften, über die er jetzt natürlich sehr froh ist. „Das (Dirigieren) habe ich über die letzten zehn Jahre intensiv entwickelt. (…) Eine faszinierende Sache. Mit welcher Gestik stelle ich Musik dar, damit sie idealerweise ohne Worte verstanden wird.“

Wir wünschen ihm natürlich weiterhin alles Gute auf seinem Weg und im Kampf gegen die Krankheit, viel Kraft für die kommenden Projekte und Ziele und bedanken uns nochmals für das offene und ehrliche Gespräch.

Unbekanntes Element
03.06.2021

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