Das Guinness-Buch der Rekorde wird 70 Jahre alt. Wer darin blättert, denkt zuerst an sportliche Höchstleistungen, skurrile Sammelleidenschaften oder extreme Körperkünste. Aber auch die Welt der klassischen Musik ist reich an Einträgen, die gleichermaßen verblüffen und amüsieren. Fünf Geschichten zeigen, dass Klassik mehr Überraschungen bereithält, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Im Jahr 1952 schockierte der amerikanische Avantgarde-Komponist John Cage die Musikwelt mit einem Stück, das eigentlich keines ist: 4′33″. Drei Sätze, kein einziger gespielter Ton. Stattdessen lauscht das Publikum den Nebengeräuschen – Räuspern, Stühlerücken, dem eigenen Atem. Cage wollte damit zeigen, dass absolute Stille gar nicht existiert.
Guinness ehrte das Werk als Komposition mit den „wenigsten Noten“ – nämlich null! Ein Weltrekord, der paradoxer kaum sein könnte.
Erik Satie war schon zu Lebzeiten ein Exzentriker. Um 1893 schrieb er das rätselhafte Werk "Vexations": eine 52-taktige Melodie, die laut Partitur 840 Mal wiederholt werden soll. Wer nachrechnet, kommt auf rund 18–20 Stunden Musik. 1963 wagte man in New York die erste vollständige Aufführung – mit einem Pianisten-Staffelstab, weil niemand das alleine durchgestanden hätte. Dauer: 18 Stunden, 40 Minuten.
Aber ganz so kann man das nicht stehen lassen: Pianist Igor Levit führte das Stück als Solo-Arrangement wiederholt auf - zuletzt in diesem Jahr. Mit "gerade einmal" 16 Stunden musste er sich jedoch der Aufführung von 1963 geschlagen geben. Bis heute gilt "Vexations" als das längste klassische Klavierstück.
Berlin, Februar 1988: Luciano Pavarotti singt Donizettis "Liebestrank" an der Deutschen Oper. Nach seiner legendären Arie „Una furtiva lagrima“ kennt das Publikum kein Halten mehr. Zunächst berichtete die Presse von 62 Minuten Applaus. Guinness zählte später nach: tatsächlich waren es 67 Minuten Dauerjubel und sagenhafte 165 Vorhänge. Bis heute ist dieser Rekord ungebrochen.
Wer Pavarottis strahlendes Lächeln und die Arme weit geöffnet in diesem Moment vor Augen hat, versteht, warum die Presse von einem „Meeresrauschen aus Beifall“ sprach.
Die Oboe hat es bis ins Guinness-Buch geschafft – als schwierigstes Instrument überhaupt. Und das zu Recht: Spieler müssen mit enormem Druck und exakter Atemkontrolle arbeiten. Kopfschmerzen, Schwindel, sogar Ohnmacht sind keine Seltenheit. Schon Mozart schrieb, die Oboe sei „das Instrument der Engel“. Andere meinen eher: das Instrument der Masochisten.
Kurios: Im selben Atemzug nennt das Guinness Buch der Rekorde auch das Horn, berüchtigt für seine Tücken in Intonation und Treffgenauigkeit. Wer also beim nächsten Konzert schiefe Töne hört – bitte Nachsicht, es handelt sich (sehr wahrscheinlich) um Weltrekord-Material.
Wenn 100 Musiker auf einer Bühne sitzen, wirkt das schon beeindruckend. Aber was sich am 9. Juli 2016 in Frankfurt abspielte, sprengte jede Dimension: 7.548 Musiker versammelten sich in der Commerzbank-Arena und spielten gemeinsam Beethovens „Ode an die Freude“. Guinness bestätigte den Rekord (FAZ, 2016).
Doch der Rekord hielt nicht ewig: 2021 brachte das venezolanische Bildungsprogramm El Sistema in Caracas sage und schreibe 8.573 Musiker zusammen. Gemeinsam spielten sie Tschaikowskys „Slawischen Marsch“ – ein Klangkörper, der selbst Beethovens Vision von Brüderlichkeit noch einmal übertraf.
Ob absolute Stille, musikalische Marathonläufe, frenetische Jubelstürme, Instrumenten-Torturen oder gigantische Menschenmassen: Die klassische Musik ist voller Weltrekorde, die mal zum Schmunzeln, mal zum Staunen einladen. Und vielleicht inspiriert sie dazu, selbst mal wieder ins Konzert zu gehen – nicht um einen Rekord aufzustellen, sondern um die Magie zu erleben, die hinter der Musik steckt.
Nicht nur die Klassik ist voller beeindruckender Rekorde und Geschehnissen: Noch mehr spannende, überraschende oder einfach nur skurrile Ereignisse aus Kultur, Geschichte und Co. können Sie bei „Die wahre Geschichte“ hören. Die bekanntesten Sprecherinnen und Sprecher aus Film und Radio erzählen die Hintergründe zu den großen Momenten und kleinen Anekdoten der Vergangenheit – lebendig, unterhaltsam und immer mit dem gewissen „Aha!“-Effekt.
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