Von Muti und Muttis: die neue Generation am Pult

Brüggemanns prüfender Blick Von Muti und Muttis: die neue Generation am Pult

Jeden Freitag um 09:40 Uhr und 16:10 Uhr kommentiert Klassikexperte Axel Brüggemann das Geschehen aus Klassik und Kultur.

Von Muti und Muttis: die neue Generation am Pult

Vor einigen Wochen hat Riccardo Muti – er wurde gerade  80 Jahre alt – sich beschwert: über die junge Generation von Dirigenten. Keiner sei mehr wie Furtwängler, keiner würde den Arm noch als Verlängerung des Gehirns verstehen, sondern lediglich als Mittel zur ausladenden Selbstdarstellung. 

Keine Frage, auf wen Muti da anspielte. In Salzburg haben wir gerade das enfant terrible Teodor Currentzis gesehen. Der griechisch-russische Dirigent tanzt sich durch Mozart, komponiert neue Musik, verziert, exaltiert und faschiert Mozart, dreht ihn durch den Fleischwolf. Mehr noch: Currentzis, der gern über sein Sexleben spricht und schon Mal sein Geschlechtsteil herausholt, benutzt Mozart, um sich selber in Szene zu setzen. Ja: das ist ein neuer Typus Dirigent. Er hat Fans – nein: Jünger. Und: Kritiker - nein: „Hater“!

Selbstverliebt und unemanzipiert: Dirigenten des alten Eisens

Nun ist auch Riccardo Muti nicht bekannt für sein fehlendes Ego, für mangelnde Arroganz, dafür, sich zurückzunehmen. Gerate lieferte er sich auf den Gängen der Mailänder Scala ein Schreigefecht mit Kollege Riccardo Chailly. Muti blickt vor jedem Auftritt gern noch in den Spiegel, und streift in jedem zweiten Takt mit der Hand durch die Haare.

Tatsächlich gehört er zum alten Eisen: Eine Dirigenten-Generation, die Orchester von oben herab dirigiert hat, die sich als besser empfindet als das Orchester, die Privilegien erwartete – für ihre Musik. Muti, der privat gern Zoten reißt, kann mit Emanzipation am Pult nur wenig anfangen. Man könnte auch sagen: er ist ein Genie von gestern.

Es ist interessant, dass es unter 60 Jahren kaum einen Dirigenten gibt, der das Charisma von Muti oder auch Zubin Mehta erreicht: Christian Thielemann und Franz Welser-Möst - beide sind gerade 60 - gehören noch zu den schillerndsten Figuren. Mindestens so erfolgreich und jünger sind noch Andris Nelsons vom Gewandhaus in Leipzig oder natürlich Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker.

Und, ja: sie pflegen einen anderen Stil, demokratischer, akribischer, vollkommen aufgelöst in der Musik und verzichten weitgehend auf äußere Effekte – sie sind ein Gegenpol zu Currentzis. 

Frauen am Pult, aber keine Mütter

Ach ja, und dann sind da noch die vielen Dirigentinnen, die endlich auch große Jobs bekommen: Oksana Lyniv, die gerade die Eröffnung der Bayreuther Festspiele dirigiert hat, oder Joana Mallwitz, die auch dieses Jahr wieder im Zentrum der Salzburger Festspiele steht. Jetzt wurde bekannt: Mallwitz will ihren Job als Musikchefin am Nürnberger Theater aufgegeben. Der Grund: Joana Mallwitz erwartet ein Kind. Dabei hat Mallwitz sich in den letzten Jahren nicht nur akribisch um das Orchester gekümmert, sondern auch um den Neubau eines Hauses – und nun will sie gehen, nein Prioritäten setzen.

Natürlich: das ist mutig. Und gleichzeitig ist es auch ein wenig erstaunlich: Riccardo heißt lediglich Muti – ich finde, es ist höchste Zeit, dass echte Muttis Chefpositionen mit ihrem Leben vereinen können!

(30.07.2021/ A. Brüggemann)

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29.07.2021

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